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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition)

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition)

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition)
Autoren: Bastian Sick
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seitdem gesamtdeutsch hin und her, vorzugsweise in den seichten Niederungen des »Internet’s«.
    »Seither hat sich dieser Genitiv, der bis dahin bei Beck’s Bier und ein paar vergleichbaren Labels ein leise belächeltes Exotendasein geführt hatte, wie die schwarzen Blattern ausgebreitet«, stöhnte die »Süddeutsche Zeitung« in einem »Streiflicht« im Jahre 1998.
    Nun, es scheint, als müssten wir mit diesen Blattern leben. Wir haben uns an Phänomene wie Modern Talking und die »Oliver Geissen Show« gewöhnt und an Wörter wie »Airline«, »Basement« und »Lifestyle« (Wer sagt schon noch Fluggesellschaft, Untergeschoss und Lebensart?), also werden wir auch damit fertig.
    Doch es ist wie immer im Leben: Kaum hat man sich mit dem einen Schicksalsschlag abgefunden, da zieht schon die nächste Katastrophe herauf. Mit erschreckender Geschwindigkeit breitet sich eine neue, noch schlimmere Apostrophenpest in Deutschland aus. Befallen ist diesmal nicht der Genitiv, sondern der Plural.
    Plötzlich liest man überall von »Kid’s« und »Hit’s« und wird permanent mit »Info’s« bombardiert. Zunächst konnte man noch vermuten, dass diesem Kuriosum eine schlichte Verwechslung zugrunde liegt, zumal hauptsächlich aus dem Englischen stammende Wörter betroffen sind: Womöglich war das Plural-s für ein Genitiv-s gehalten worden.
    Doch inzwischen werden auch andere Begriffe zer-apostrophiert: Der Obsthändler an der Ecke verkauft neuerdings Mango’s und Kiwi’s, die Anzeigenblätter im Briefkasten werben für günstige Caravan’s, Kombi’s und extra dicke Pizza’s, die Kid’s entpuppen sich als Mädel’s und Jungen’s, man ersteigert bei eBay modische Accessoire’s, überrascht einander mit lustig bedruckten T-Shirt’s, staunt über die Vielzahl von Tee’s auf der Getränkekarte, und wem mit Tee’s nicht gedient ist, der bestellt Kognak’s oder Martini’s. Im Hotelzimmer schaut man sich später ein paar Video’s an, und bezahlt wird das Ganze selbstverständlich in Euro’s, und zwar bar, denn an vielen Kassen werden »keine Scheck’s« angenommen. Halten Sie’s noch aus, oder müssen Sie schon wegschauen? Es kommt noch schlimmer:
    Gar keine Aussicht auf Rettung besteht mehr für Abkürzungen. Lastkraftwagen (kurz: Lkw, auch in der Mehrzahl) sind zu »LKW’s« geworden, Personenfahrzeuge werden entsprechend »PKW’s« abgekürzt, und immer wieder stolpert man über »CD’s« und »DVD’s«.
    Liest man in der Sauna den Hinweis »Kein Schweiß auf’s Holz«, so brennt es einem in den Augen. Ebenso beim Anblick von Läden, die »Alles für’s Kind« anbieten. Zwar ist der Apostroph hier überflüssig, aber immerhin scheint sich der Schildermaler noch was dabei gedacht zu haben. »Eigentlich heißt’s ja ›auf das Holz‹ und ›für das Kind‹, da mach ich vorsichtshalber mal ’n Apo-dingsda, na, so ’n Häkchen halt«, wird er sich gesagt haben – und schon war’s passiert. Lästig, aber lässlich. Aber viele Menschen setzen den Apostroph bereit’s auch dort, wo gar nicht’s ausgelassen wurde. Da! Haben Sie es bemerkt? Ist Ihnen nicht’s aufgefallen? Dann schauen Sie mal nach recht’s! Und dann noch mal nach link’s! Merken Sie es jetzt?
    Manche Deutsche scheinen von der Vorstellung besessen, dass generell jedes »s« am Wortende apostrophiert werden müsse. Als sei das Endungs-s eigen’s dafür geschaffen, vom Wortstamm abgespalten zu werden. Dabei geht die Tendenz in der Standardsprache genau in die entgegengesetzte Richtung: Nicht immer mehr, sondern immer weniger Apostrophe empfiehlt die neue amtliche Regelung. »Ich sing’ ein Lied« und »Mir geht’s gut« kann, darf oder sollte heute »Ich sing ein Lied« und »Mir gehts gut« geschrieben werden.
    Doch die Gemeinde der Neu-Apostrophiker wächst und wächst. Sie setzt den Apostroph stet’s und überall, nirgend’s ist man noch vor ihm sicher. Und weil das abgespaltene Endungs-s manchen noch nicht reicht, machen sie das Häkchen auch vor »z« und »n« und überhaupt vor allem, was am Wortende steht. Schon wurden an mehreren Stellen in Deutschland Schilder mit der Aufschrift gesichtet: »Futter’n wie bei Mutter’n«. Ist das moder’n – oder einfach nur depper’t? Wohin soll das noch führen? Droht die totale Apostrophe? Der alles verheerende Häk’chen-Hagel? Oder stecken wir schon mittendri’n? Na dann pros’t, du Volk der Dichte’r und Denke’r!
Der Gebrauch des Apostrophs im Überblick
Wo ein Apostroph
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