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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition)

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition)

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition)
Autoren: Bastian Sick
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steht das Attribut vor dem Hauptwort. Doch in der Reklamesprache setzt man sich über Grammatikregeln gern hinweg und verbiegt die natürliche Syntax, um Aufmerksamkeit zu erregen. So hat man den Kunden schon früher »Bargeld sofort«, »Spargel satt«, »Kühlschränke neu«, »Urlaub mediterran« und »Telefonieren kostenlos« versprochen. Und vor dem sagenhaften Aufstieg des Adjektivs »pur« gab es das alles schon einmal mit »total«: Spannung total, Liebe total, Fußball total. Diese Form der Anpreisung hat sich über die Jahre gründlich abgenutzt, da kam den Werbestrategen das Wörtchen »pur« gerade recht.
    Dabei ist »pur« gar nicht mal neu. Das Adjektiv, dem lateinischen »purus« entlehnt, gelangte bereits im 14. Jahrhundert in die deutsche Sprache und wirkte an der Entstehung von Begriffen wie Püree und Puritanismus mit. Über lange Zeit hatte »pur« im deutschen Sprachtheater ein Engagement als Zweitbesetzung für das Adjektiv »rein«. Wer »reines Gold« durch einen Latinismus noch weiter veredeln wollte, konnte dies tun, indem er von »purem Gold« sprach. Auch purer Luxus und purer Genuss wurden immer gern beschrieben und angepriesen. Mittlerweile gibt es sie nur noch als »Luxus pur« und »Genuss pur«.
    In einer Kunstform wie der Reklamesprache ist so etwas möglich. Man sollte es sich allerdings gut überlegen, ehe man sich die Werbung zum Vorbild für seine Alltagssprache macht:
    »Du Schatz, es wird heute wieder später«, sagt der geplagte Ehemann am Telefon, »hier ist mal wieder Hektik pur!« – »Du Armer«, seufzt sie verständnisvoll, »aber mach dir keine Sorgen um mich, ich bin nachher noch mit einer Schulfreundin verabredet, die ich heute in der Stadt getroffen habe: Zufall pur!« – »Sonst alles klar zu Haus?« – »Jonas ist heute vom Klettergerüst gefallen, aber ihm ist nichts passiert.« – »Wer hat ihn denn da raufgelassen? Das war ja Leichtsinn pur!« – »Beim nächsten Mal ist er vorsichtiger. Du weißt doch: Nichts macht klüger als Erfahrung pur!«
    Dem halbwegs sprachsensiblen Konsumenten stößt das Adjektiv »pur« aufgrund seiner Häufung inzwischen sauer auf. Man kann nur hoffen, dass der pure Überfluss bald in irgendeinem Abwasserkanal versickert. Und zwar bevor das Beispiel der Attribut-Umstellung weiter Schule macht. Was würde aus dem normalen Alltag, dem perfekten Moment, den losen Gedanken? Alltag normal, Moment perfekt, Gedanken los? Wird die unterhaltsame und lehrreiche Sendung »Genial daneben« eines Tages »Daneben genial« heißen? Das wäre der reinste Wahnsinn. Um nicht zu sagen: Wahnsinn pur.

Abschied von Lila-Grün
    Sie glauben, Sie kennen sich aus mit den Farben in der Politik? Rot für links, Schwarz für rechts, dazwischen und daneben Gelb, Grün, Dunkelrot, Blassrosa, Taubengrau und Igittibraun – aber wofür bitte schön steht Blau, und was kommt raus, wenn man die Farben mischt? Werfen wir doch mal einen Blick zu unseren Nachbarn im Westen.
    Was dem Hobby-Soziologen die Schubladen, das sind dem Amateur-Politologen die Farbtöpfe. Wann immer der Name einer Partei ins Spiel kommt, wird flugs zum Pinsel gegriffen und das erwähnte Lager mit einem knalligen Anstrich versehen: Rot, Gelb, Schwarz, Grün, Grau, bunt – was die Palette hergibt. Es ist wie mit den Brandzeichen bei Rindern: Keine Gruppierung, Absplitterung, Vereinigung oder Bewegung, die ohne Farbmarkierung frei herumlaufen dürfte. Da entstünde ja das völlige Chaos, und niemand würde sich mehr zurechtfinden.
    Farben schaffen Klarheit. Sie sind Erkennungszeichen, Signal und Synonym. Die Kommunisten haben den Anfang gemacht, sie wählten die Farbe Rot, weil die so schön kämpferisch und leidenschaftlich wirkt, die Konservativen wurden schwarz, weil dies die Farbe der Kirche war, die Ökos tarnten sich mit dem Grün des Waldes, und wer von den Liberalen spricht, hat meistens die Farbe Gelb im Kopf. Diese ist schön grell und knallig, historisch betrachtet aber nicht eben positiv besetzt: Gelb galt lange Zeit als »Schandfarbe« und wurde Juden, Dirnen und Ketzern aufgezwungen. Vielleicht haben die Liberalen das Gelb aber auch von den Kirgisen, denn bei denen ist es die Farbe der Trauer und der Gedankenversunkenheit. Und traurig war in den letzten Jahren schließlich so manches Wahlergebnis der Liberalen, was genügend Grund zu Grübeleien gab. Doch außerhalb Deutschlands sind Liberale oft alles andere als gelb – nämlich blau. So zum Beispiel in den Niederlanden und in
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