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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2
Autoren: Bastian Sick
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Frage
    zum Nikolaus. Sie können aber von mir aus auch Knecht
    Ruprecht nehmen oder den Gerichtsvollzieher oder meinen
    Nachbarn. Die Person ist nebensächlich. Mir geht’s ums
    Türklopfen. Klopft der Nikolaus an DER Tür oder an DIE
    Tür?

    Antwort des Zwiebelfischs: Beides ist möglich. Der Dativ
    (»an der Tür«) ist die Antwort auf die Frage »wo klopft
    es?«, der Akkusativ (»an die Tür«) ist die Antwort auf die
    Frage »wohin/worauf/wogegen wird geklopft?«.
    Geht es mehr ums Klopfen, dann zeigt man dies durch den
    Dativ an:
    • Es klopft an der Tür.
    • Man hört ein Klopfen an der Tür.
    • Minutenlang wurde wie wild an der Tür geklopft und
    gerüttelt.
    Geht es mehr um die Person, die anklopft, oder um die Tür,
    an die geklopft wird, so wählt man den Akkusativ:
    • Jemand klopft an die Tür.
    • Er hatte an so viele Türen geklopft und war doch
    nirgends eingelassen worden.
    • Nur wer an diese Tür klopft, kommt auch hinein.

    Der Bedeutungsunterschied ist allerdings minimal, oft wird
    er gar nicht wahrgenommen. Für den Nikolaus selbst spielt
    es wohl keine Rolle, ob er an die Tür klopft oder an der Tür.
    Hineingelassen wird er in jedem Fall.

    Ein ähnliches Phänomen lässt sich übrigens bei Verben der
    körperlichen Berührung (schlagen, treten, beißen, schneiden
    u.a.) beobachten: Wenn der Nikolaus mir auf gut Deutsch
    eine langt, stellt sich die Frage, ob er mich (Akkusativ) ins
    Gesicht schlägt oder ob er mir (Dativ) ins Gesicht schlägt.
    Beides ist grammatisch möglich, wenngleich weder das eine
    noch das andere wünschenswert ist. Der Dativ ist in diesen
    Fällen allerdings häufiger anzutreffen.
    • Er trat ihn/ihm vors Schienbein.
    • Sie zog mich/mir an den Haaren.
    • Ich habe mich/mir in den Finger geschnitten.
    • Der Hund biss ihn/ihm ins Bein.
    Bei unpersönlichen Subjekten steht fast ausschließlich der
    Dativ:
    • Der Wind peitschte mir (nicht: mich) ins Gesicht.
    • Die Sonne stach ihm (nicht: ihn) in die Augen.

    Beim Verb »küssen« (das ja ebenfalls eine körperliche Be-
    rührung bezeichnet) steht die geküsste Person im Dativ,
    wenn der geküsste Körperteil im Akkusativ steht, und sie
    steht im Akkusativ, wenn der Körperteil von einer Präposi-
    tion begleitet wird: Erst küsste er ihr die Hand, dann küsste
    er sie auf den Mund. Dasselbe gilt für »lecken«: Erst leckte
    er ihr die Hand, dann leckte er sie am Hals.

    Das Imperfekt der Höflichkeit

    Wenn es darum geht, Dinge zu beschreiben, die gerade passieren
    und für diesen Moment gelten, dann benutzt man normalerweise
    das Präsens. Normalerweise − aber nicht immer. Es gibt Situationen,
    in denen die Gegenwartsform gemieden wird, als sei sie unschick-
    lich. Ein schlichtes »Was wollen Sie?« wird plötzlich zu »Was woll-
    ten Sie?«.
    Mein Freund Henry und ich sitzen im Restaurant und geben
    gerade unsere Bestellung auf. »Also, Sie wollten den Seeteu-
    fel, richtig?«, fragt der Kellner an Henry gewandt. »Das ist
    korrekt«, erwidert Henry und fügt hinzu: »Und ich will ihn
    immer noch.« Der Kellner blickt leicht irritiert. Henry er-
    klärt: »Angesichts der Tatsache, dass meine Bestellung gera-
    de mal eine halbe Minute her ist, dürfen Sie gerne davon
    ausgehen, dass ich den Seeteufel auch jetzt noch will.« Der
    Kellner scheint zwar nicht ganz zu begreifen, nickt aber höf-
    lich und entfernt sich.
    »Was sollte das denn nun wieder?«, frage ich meinen
    Freund, der es auch nach Jahren noch schafft, mich mit im-
    mer neuen seltsamen Anwandlungen zu verblüffen. Henry
    beugt sich vor und raunt: »Ist dir noch nie aufgefallen, dass
    im Service ständig die Vergangenheitsform benutzt wird,
    ohne dass es dafür einen zwingenden Grund gibt?« − »Das
    mag zwar sein, aber ich wüsste nicht, was daran verkehrt
    sein sollte«, erwidere ich. Henry deutet zur Tür und sagt:
    »Das ging schon los, als wir hereinkamen. Du warst noch an
    der Garderobe, ich sage zum Empfangschef: »Guten Abend,
    ich habe einen Tisch für zwei Personen reserviert!«, und er
    fragt mich: ›Wie war Ihr Name?‹ − »Ich ahne Furchtbares!
    Du hast doch nicht etwa ...?« − »Natürlich habe ich!«, sagt
    Henry mit einem breiten Grinsen. »Die Frage war doch un-

    missverständlich. Also erkläre ich ihm: »Früher war mein
    Name Kurz, aber vor drei Jahren habe ich geheiratet und den
    Namen meiner Frau angenommen, deshalb ist mein Name
    heute nicht mehr Kurz, sondern länger, nämlich Caspari.‹« −
    »Ein
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