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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2
Autoren: Bastian Sick
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Wunder, dass er uns nicht gleich wieder vor die Tür ge-
    setzt hat!«, seufze ich. Henry zuckt die Schultern: »Ist doch
    wahr! Eisparfait auf der Karte und Imparfait in der Frage −
    das sind Wesensmerkmale der Gastronomie. Sag mir nicht,
    du hättest dir noch nie darüber Gedanken gemacht? Ich je-
    denfalls finde es höchst bemerkenswert!«
    Eine Viertelstunde später kommt eine junge weibliche
    Servierkraft mit den Speisen. »Wer bekam den Fisch?«, fragt
    sie. Henry wirft mir einen triumphierenden Blick zu, wen-
    det sich zur Kellnerin und sagt mit einem charmanten Lä-
    cheln : »Noch hat ihn keiner bekommen, aber ich wäre Ihnen
    sehr dankbar, wenn ich ihn nun bekommen könnte.« − »Hen-
    ry«, sage ich tadelnd, »du bringst die junge Dame ja völlig
    durcheinander!« − »So soll es sein!«, erwidert Henry selbst-
    bewusst. Ich bemühe mich, sachlich zu bleiben: »Wenn dich
    jemand etwas fragt und dabei das Imperfekt verwendet, dann
    heißt das nicht, dass er sich für deine Vergangenheit
    interessiert. Meistens verwendet man es, wenn man sich einer
    Sache vergewissern will: Wie war das doch gleich?« Henry
    spritzt, den Seeteufel nur um wenige Meter verfehlend,
    Zitronensaft auf mein Hemd und entgegnet: »Als Anwalt bin
    ich es nun mal gewohnt, Sprache wörtlich zu nehmen.
    Neulich im Reisebüro wurde ich gefragt: ›Wohin wollten
    Sie?‹ Da habe ich dann ganz gewissenhaft aufgezählt:
    »Letztes Jahr wollte ich in die Karibik − Barbados oder
    Jamaika, das war immer schon mein Traum, war aber leider
    zu teuer. Im Jahr davor wollte ich zum Tauchen auf die Ma-
    lediven, dafür hätte ich aber erst zehn Kilo abnehmen müs-
    sen. Als Student wollte ich nach Ägypten, doch dann lernte
    ich meine Freundin kennen und blieb in Deutschland; und

    als ich ein kleiner Junge war, da wollte ich unbedingt auf den
    Mond. Jetzt will ich eigentlich nur nach Rügen.« Du kannst
    dir vorstellen, wie die Reisekauffrau geguckt hat. Das hätte
    sie kürzer haben können!«- »Wenn du das Imperfekt unbe-
    dingt auf die Anklagebank setzen willst, dann lass mich et-
    was zu seiner Verteidigung sagen. Das Imperfekt in der Frage
    drückt respektvolle Distanz aus, daher ist es im Service so
    beliebt. Man will dem Kunden schließlich nicht zu nahe tre-
    ten. »Wie war Ihr Name?‹ klingt − zumindest in manchen
    Ohren − weniger direkt und somit höflicher als ›Wie ist Ihr
    Name?i Es ist dasselbe wie mit dem Konjunktiv. ›Ich will ein
    Glas Prosecco‹ klingt zu direkt, daher verkleidet man den
    Wunsch mit dem Konjunktiv, versieht ihn womöglich noch
    mit einem Diminutivum und sagt: › Ich hätte gerne ein Gläs-
    chen Prosecco!‹« Erwartungsgemäß nutzt Henry diese Vor-
    lage zu einem spöttischen Einwurf: »Au ja! Prosecco für
    alle!« Ich fasse zusammen: »Aus demselben Grund wird in
    der Frage das Imperfekt verwendet − aus Höflichkeit.« Hen-
    ry verdreht schwärmerisch die Augen: »Das Imperfekt der
    Höflichkeit! Ein toller Titel! Klingt wie ›Der Scheineffekt der
    Wirklichkeit« oder ›Der Gipfel der Unsäglichkeit«. Seine
    Vollendung findet es übrigens im berühmt-berüchtigten
    Imbiss-Deutsch: ›Waren Sie das Schaschlik oder die Curry-
    wurst?««
    Wir lassen es uns schmecken, und nachdem auch die zweite
    Flasche Wein geleert ist, gebe ich dem Kellner mit
    Handzeichen zu verstehen, dass er uns die Rechnung bringen
    möge. Einen Augenblick später ist er zur Stelle und fragt:
    »Die Herren wollten zahlen?« Und ehe ich Luft holen kann,
    platzt es aus Henry heraus: »Vor fünf Minuten wollten wir
    zahlen, und redlich, wie wir sind, wollen wir immer noch
    zahlen, und zwar so lange, bis wir tatsächlich gezahlt
    haben!« Der Kellner verzieht keine Miene: »Zusammen oder
    getrennt?« − »Zusammen!«, sage ich. »Du lädst mich ein?«,

    fragt Henry begeistert. »Wie komme ich zu der Ehre?« −
    »Das war ein Arbeitsessen«, erkläre ich, »daraus mache ich
    eine Kolumne.« − »Prima«, sagt Henry, »dann weiß ich auch
    schon was für unser nächstes Arbeitsessen! Da gehen wir zu
    meinem Koreaner. Der fragt nie: »Was darf’s sein?« oder
    »Was wünschen Sie?‹, sondern »Was soll essen?« Darüber
    lässt sich prächtig philosophieren!«

    Imperfekt oder Präteritum?
    Frage eines Lesers aus Karlsruhe: Man kennt die Vergan-
    genheit sowohl unter der Bezeichnung Imperfekt als auch
    unter der Bezeichnung Präteritum. Wieso gibt es zwei Be-
    griffe für ein und dieselbe Zeitform? Ist unsere
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