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Der Courier des Czar

Der Courier des Czar

Titel: Der Courier des Czar
Autoren: Jules Verne
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Elende leblos zu Boden.
    In diesem Augenblick wurde die Zimmerthür von außen aufgestoßen. Begleitet von einigen Officieren erschien der Großfürst auf der Schwelle.
    Letzterer trat vor. Auf dem Fußboden erkannte er die Leiche Desjenigen, den er für den Courier des Czar gehalten hatte.
    Mit drohender Stimme fragte er:
    »Wer hat diesen Mann getödtet?
    – Ich that es«, antwortete Michael Strogoff.
    Einer der Officiere setzte einen Revolver an dessen Schläfe.
    »Dein Name? fragte der Großfürst.
    – Kaiserliche Hoheit, erwiderte Michael Strogoff, fragen Sie mich lieber zuerst nach dem Namen dessen, der vor Ihren Füßen liegt.
    – Diesen Mann erkenne ich, es ist ein Diener meines Bruders, ein Courier des Czar.
    – Dieser Mann, Hoheit, ist kein Courier des Czar! Das ist Iwan Ogareff!
    – Iwan Ogareff? rief der Großfürst.
    – Ja, Iwan, der Berräther seines Vaterlandes.
    – Aber Du, wer bist Du denn?
    – Ich bin Michael Strogoff.«
Fünfzehntes Capitel.
Schluß.
    Michael Strogoff war in der That jetzt weder blind, noch war er es jemals gewesen. Eine rein menschliche, gleichzeitig moralische und physikalische Ursache hatte die Wirkung der glühenden Säbelklinge vereitelt, die der Scharfrichter Iwan Ogareff’s damals vor seinen Augen vorbeiführte.
    Der Leser erinnert sich, daß bei Vollziehung des grausamen Urtheils die alte Marfa verzweifelt und mit erhobenen Armen unweit ihres Sohnes stand. Michael Strogoff sah sie an, wie ein Sohn eben seine Mutter ansehen wird, wenn er weiß, daß es zum letzten Male sein soll. Aus seinem Herzen quollen ihm die Thränen in die Augen, die sein Stolz vergeblich zurück zu drängen suchte. Diese sammelten sich unter den Augenlidern, und ihre Verdampfung auf der Hornhaut rettete ihm die Sehkraft. Da sich die aus den Thränen gebildete Dampfschicht zwischen der glühenden Klinge und den Augäpfeln befand, vermochte sie die Wirkung der Hitze unschädlich zu machen. Es ist das derselbe Vorgang, als wenn ein Gießer nach Anfeuchtung seiner Hand mit Wasser diese ungestraft durch einen Strahl flüssigen Eisens führt.
    Michael Strogoff hatte die Gefahr schnell erkannt, welche ihm daraus erwachsen könne, wenn er sein Geheimniß gegen irgend Jemand offenbarte. Ebenso durchschaute er auch den Nutzen, den er aus diesem Umstande bezüglich der Durchführung seiner Aufgabe ziehen könne. Nur daß er für blind galt, schien seine persönliche Freiheit einigermaßen sicher zu stellen. Er mußte also blind scheinen, er mußte es für Alle sein, selbst für Nadia, und niemals durfte eine unbewachte Bewegung seinerseits an der Wahrheit seiner Rolle einen Zweifel erregen. Sein Entschluß stand fest. Er mußte selbst sein Leben wagen, um einen Beweis von seiner Erblindung zu geben, und wir wissen, wie unbedenklich er es auf’s Spiel setzte.
    Nur seine Mutter allein kannte den wahren Sachverhalt, ihr hatte er es damals auf dem Platze vor Tomsk in’s Ohr geflüstert, als er in der Dunkelheit über jene gebeugt sie mit seinen heißen Küssen bedeckte.
    Man entsinnt sich auch, daß, als Iwan Ogareff in herzlosem Spotte das kaiserliche Schreiben vor Michael Strogoff’s geblendete Augen hielt, dieser dasselbe lesen konnte, und natürlich Alles gelesen hatte, was die verruchten Pläne des Verräthers enthüllte. Hieraus erklärt sich auch sein verdoppeltes Drängen, in Irkutsk anzukommen und sich daselbst seiner Mission wenigstens mündlich zu entledigen. Er wußte, daß die Stadt verrathen werden sollte, daß des Großfürsten Leben in der ernstesten Gefahr schwebe. Die Rettung des Bruders seines Czar, ja das Heil ganz Sibiriens ruhte also in seiner Hand.
    Mit wenigen Worten wurden dem Großfürsten alle die früheren Vorkommnisse mitgetheilt, wobei Michael Strogoff mit Wärme den Antheil hervorhob, der Nadia bei der Ueberwindung der zahlreichen Hindernisse gebührte.
    »Wer ist das junge Mädchen? fragte der Großfürst.
    – Die Tochter Wassili Fedor’s, eines Verbannten.
    – Die Tochter des Commandanten Fedor, fuhr aber der Großfürst fort, ist nicht mehr die Tochter eines Verbannten. In Irkutsk giebt es jetzt keine Verbannten mehrt«
    Nadia fiel, überwältigt von der Freude, der sie leichter erlag als den harten Schlägen des Schicksals, dem Großfürsten zu Füßen, der sie jedoch mit der einen Hand wieder aufzog und die andere Michael Strogoff darbot.
    Eine Stunde später lag Nadia in den Armen ihres Vaters.
    Michael Strogoff, Nadia und Wassili Fedor waren vereinigt und hoch
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