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Der Countdown

Der Countdown

Titel: Der Countdown
Autoren: Rick Mofina
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Jahre alt, schätzte Ito. Sweatshirt, Jeans und Turnschuhe.
    Er war tot.
    Traurigkeit stieg in Ito auf.
    Als er den Jungen ans Ufer zog, ließ ihn ein plötzliches Krachen und Splittern zusammenzucken. Ein Kanu war in die Felsen neben ihm gerast. Es war leer.
    Er blickte suchend über den Fluss und schauderte.
    Gibt es noch mehr Opfer?
    Ito lief zurück zum Wanderweg, wo es ihm gelang, zwei Frauen – deutsche Touristinnen auf Fahrradtour – anzuhalten. Binnen einer Stunde hatten die Parkaufseher eine Such- und Rettungsaktion organisiert.
    Die Gegend war als Faust’s Fork bekannt, ein felsiges Gebiet mit Flüssen, Seen, Wäldern, Gletschern und Bergketten, das sich zwischen dem Banff National Park und Kananaskis County erstreckte. Es war durchsetzt mit Wanderpfaden und abgelegenen Zeltplätzen. Der Zugang war nur zu Fuß oder per Pferd erlaubt. Mit dem Fahrzeug erreichte man lediglich einige Ausflugsziele am Flussufer sowie ein paar Zeltplätze entlang des Flusses, die nur durch eine alte Holzfällerstraße miteinander verbunden waren.
    Nachdem man den Tod des Jungen bestätigt und die Möglichkeit weiterer Opfer eingeräumt hatte, unterrichtete die Parkleitung nicht nur die Royal Canadian Mounted Police, sondern auch Gerichtsmediziner, Sanitäter, Feuerwehrmänner und die Park Ranger vor Ort. Naturschutzbeauftragte und andere Stellen wurden ebenfalls in Kenntnis gesetzt. Sie grenzten das zu durchsuchende Gebiet ein und teilten es in verschiedene Sektionen auf.
    Rettungsboote wurden zum Fluss gebracht, konnten in dem Abschnitt, in dem man den Jungen gefunden hatte, jedoch nicht nach Überlebenden suchen. Die Strömung war zu stark. Man stellte Suchteams zusammen, die das Gebiet zu Fuß, zu Pferde und mit Geländewagen durchkämmten. Alle Helfer hatten Funkgeräte dabei, manche auch Suchhunde. Ein Hubschrauber und ein Flugzeug beteiligten sich an der Suche, ebenso wie viele Gruppen mit Freiwilligen, die noch weitere Camper in Faust’s Fork verständigten.
    Etwas weiter flussaufwärts stand Daniel Graham in der Nähe eines entlegenen Zeltplatzes allein auf einem kleinen Anstieg, der einen weiten Blick auf den Fluss, die Berge und den Himmel eröffnete.
    Er betrachtete die bronzene Urne in seiner Armbeuge und liebkoste die Blätter und Tauben, die in einem Schmuckband um die Mitte eingraviert waren. Nach einiger Zeit schraubte er den Deckel ab, schüttelte die Urne und übergab ihren Inhalt dem Wind. Feine, sandige Asche wirbelte und tanzte über die Wasseroberfläche, bis die Urne leer war.
    Graham blickte zu den schneebedeckten Gipfeln, als ob sie die Antwort auf etwas bereithielten, das ihn sehr beschäftigte. Doch er bekam nicht die Zeit, darüber in Ruhe nachzudenken. Die Stille, die er gesucht hatte, wurde durch einen dröhnenden Hubschrauber gestört, der in weniger als dreißig Metern Höhe über den Fluss flog.
    Kurz darauf kehrte er um und verschwand im Tiefflug in die entgegengesetzte Richtung.
    Muss sich wohl um eine Suchaktion handeln, dachte Graham. Er stellte die Urne beiseite und suchte den Fluss prüfend nach einem Anzeichen für den Helikoptereinsatz ab. Nicht lange nach dessen Abdrehen hörte er das undeutliche Knistern und Knarzen von Funkgeräten, als zwei Männer in orangefarbenen Overalls seinen Zeltplatz betraten.
    “Sir, wir sind vom Such- und Rettungsdienst”, sagte der erste. “Auf dem Fluss gab es einen Bootsunfall. Verschiedene Mannschaften suchen nach Überlebenden. Bitte geben Sie uns Bescheid, wenn Ihnen irgendetwas auffällt.”
    “Wie ernst ist es?”
    Die Männer musterten Graham, der in Jeans und T-Shirt vor ihnen stand. Er war in den späten Dreißigern, gut einen Meter achtzig groß und muskulös gebaut. Sein markantes Kinn schmückte ein dunkler Dreitagebart, der seine eindringlichen, tief liegenden Augen noch betonte.
    Er zog eine lederne Brieftasche aus seiner Jackentasche und öffnete sie, damit die Männer das goldene Abzeichen sehen konnten – die Krone, umgeben von einem Kranz von Ahornblättern, mit den Worten “Royal Canadian Mounted Police” versehen. Daneben der Bisonkopf, der von dem Spruchband mit dem Motto
Maintiens le Droit
eingerahmt war. Der Ausweis identifizierte ihn als Daniel Graham, Corporal der RCMP, der Royal Canadian Mounted Police.
    “Sie sind ein Mountie?”
    “Beim Dezernat für Gewaltverbrechen in Calgary. Im Moment außer Dienst. Wie ernst ist der Unfall? Gab es Todesopfer?”
    “Mindestens eines. Ein Junge. Wir haben noch keine weiteren
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