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Der Computer und die Unsterblichen

Der Computer und die Unsterblichen

Titel: Der Computer und die Unsterblichen
Autoren: Alfred Bester
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Tyburn. Ich war seit Jahren nicht in London gewesen (versaut von radioaktiven Rückständen), und ganz gewiß nicht im 18. Jahrhundert, aber das gab mir die Orientierung. Tyburn war später zu Marble Arch geworden. Ich war am Rand des damaligen London. Es gab noch keinen Hyde Park, bloß Felder, Bäume, Wiesen und den kleinen Tyburn-Bach, der sich hindurchschlängelte.
    Ich wanderte einen Pfad entlang, der eines Tages die Park Lane sein würde, und drang in das Gewirr der schmalbrüstigen Häuser ein. Als ich endlich die Brook Street gefunden hatte, fragte ich nach einem Schriftsteller namens Chatterton. Kein Mensch hatte je von ihm gehört, aber dann traf ich einen mit Flugschriften wie »Das Leben des Henkers«, »Geheime Begebenheiten in Soho«, »Der verräterische Diener« und dergleichen behangenen fliegenden Händler. Er sagte, er kenne Chatterton. Der Junge schreibe ihm lange Gedichte für einen Shilling, und er zeigte mir das Haus, worin der Dichter wohnte.
    Ich eilte die morsche Treppe hinauf, bei jeder Stufe in Angst, ich könne durchfallen, und spazierte mit fröhlichem Gruß in die Dachstube. Der Junge wand sich in der letzten Agonie der Arsenvergiftung auf einem Strohsack. Aha, dachte ich. Er stirbt; er weiß, daß er tot ist. Wenn ich ihn retten kann, gewinnen wir vielleicht ein weiteres Mitglied für die Gruppe.
    Ich tat mein Bestes. Zuerst muß man sie zum Kotzen bringen. Ich pinkelte in einen Becher und flößte den Inhalt Chatterton gewaltsam ein. Keine Übelkeit. Zu weit hinüber. Ich rannte die Treppe hinunter und schlug an eine Tür. Sie wurde von Betsy Ross' Großmutter geöffnet, die sich über den Lärm beklagte. Ich stürmte an ihr vorbei, sah einen Krug Milch und nahm ihn und eine Handvoll Holzkohle aus dem kalten Kamin an mich. Während sie Zeter und Mordio schrie, kehrte ich in die Dachstube zurück. Holzkohle und Milch. Nichts zu machen. Er war tot, ein schmerzlicher Verlust, und was sollte ich nun mit den vierundzwanzig Unzen Gold anfangen, die die Gesäßtasche meines Overalls hinabzogen?
    Nun, ich verließ das Haus und machte mich im Regen auf den Rückweg nach Tyburn. Schon in der Fleet Street ergriff mich die Gottesanbeterin, und ich wurde zurückbefördert. Das Regenwasser aus meinen Kleidern betropfte zu Herbs Seelenschmerz die Schaltkreise der Maschine.
    »Raus, 'raus!« rief er. »Sie sind fort.«
    Ich 'raus.
    »Warum hast du Thomas das Gold nicht gegeben?«
    »Zu spät, Mann. War schon hin, als ich kam.«
    »Oh, Scheiße.«
    »Versuchs noch mal, ein bißchen eher.«
    »Geht nicht. Das verdammte Ding transportiert nicht zweimal in dieselbe Dekade. Um die Wahrheit zu sagen, Guig, ich glaube, es taugt nichts.«
    Vielleicht ist das der Grund, warum sein Gesundheits-, Erziehungs- und Wohlfahrtsprogramm nie funktioniert. Ich dankte Herb und kehrte nach Spangland zurück. Ich weiß, dies alles klingt irgendwie verrückt, aber es ist nicht einfach für mich, mit meinen Unterlagen zurechtzukommen. Ich muß alles aus dem Spanglischen, das jetzt die offizielle Landessprache ist, ins Englische des zwanzigsten Jahrhunderts und von da in die Maschinensprache übertragen. Das ist eine höllische Arbeit, um so mehr, als es mit dem Sortieren jahrhundertealter Erinnerungen verbunden ist. Darum bitte ich den geschätzten Leser um Verzeihung, wenn ich die Dinge zuweilen etwas durcheinanderbringe. Wir haben alle diese Schwierigkeit, die Ereignisse in ihre richtige Reihenfolge zu bringen. Ich muß Notizen und Tagebücher sammeln, weil ich mir deswegen Sorgen mache. Ich bin der Jüngste der Gruppe und versuche immer noch, ein organisches Speichersystem zu entwickeln. Oft habe ich mich gefragt, wie Sam Pepys zurechtkommt. Er ist der Historiker der Gruppe und führt das offizielle Tagebuch nach seinem eigenen System. Für ihn ist es ganz einfach, etwa so: A 1/4 + (1/2 B) 2 = mein Frühstück vom sechzehnten September 1936.
    Ich bin erst da, seit 1883 der Vulkan Krakatau ausbrach. Alle anderen gibt es schon viel länger. Wir tragen berühmte Namen, aber es sind nicht die richtigen. Wir müssen so oft weiterziehen und unsere Namen ändern – die kurzlebigen Leute beginnen sich Gedanken über uns zu machen –, daß niemand auf dem laufenden bleiben kann. Darum haben wir innerhalb der Gruppe unsere Spitznamen, die wir von wirklichen Personen stehlen. Sie spiegeln unsere Eigenheiten und wichtigsten Interessen wider. Ich habe H. G. Wells und seine Zeitmaschine erwähnt. Dann gibt es Tosca, ein
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