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Der Clown ohne Ort

Der Clown ohne Ort

Titel: Der Clown ohne Ort
Autoren: Thomas Martini
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Verrückt. Dann hält er kurz sich für bescheuert, den Arbeitgeber für böse – was bei diesem tatsächlich etwas komplizierter war, es war schließlich ein privates Theater, das nicht gefördert wurde, und somit etwas, »das mit viel Idealismus« zu tun hatte –, verliert sich in Gedanken, macht einen schlechten Eindruck, dammit!, und sagt gleich zu, als ihm die Stelle tatsächlich angeboten wird. Er lächelt nett und faselt von Vorfreude und schönem Wetter.
    Es wird ein heißer Frühling. Die Leute sprechen von Hitzewelle und Klimawandel. Am Horizont stoßen sich Kumuluswolken die Köpfe an der Atmosphäre platt. Eine Stunde später regnet es. Er mag Gewitter. Er lehnt sich ins offene Fenster. Regengischt benetzt seinen Oberkörper. Weitere Blitze durchzucken den Himmel. Augenblicklich wird der Regen stärker. Jetzt schüttet es wie aus Kübeln. Die Luft ist grau, der Wind zieht Fäden in den Regen. Zu Vorhängen gewebt, ziehen sie die Straße entlang. Eine Steigerung hat er nicht erwartet: aus dem Prasseln wird ein Tosen, Starkregen, es wird neblig, die Luft riecht moosig. Die Platanen in seiner Straße ertragen schwer wankend den Sturm. In der gegenüberliegenden Häuserzeile sind etwa ein Drittel der Fenster offen gelassen worden, ein gerade noch weißer Vorhang hängt jetzt grau und schlaff in seinem Fenster. Drei Häuser weiter bricht eine Frau Zweige eines Astes ab, der gegen ihr Fenster schlägt. Sie wirft sie achtlos auf den Gehweg. Als zwei Blitze in der Nähe ohrenbetäubend einschlagen, schließt sie das Fenster, um zwei Minuten später weiterzumachen. Der Regen lässt kurz nach, die Blitze gewinnen an Intensität, immer lauter zieht tief grollender Donner durch die Straßen, dann wieder zerreißt ein peitschender Knall die Luft, um sich in einem beißenden Schlag zu verlieren. Zehn Minuten später erreicht das Gewitter seinen Höhepunkt, Wolkenbruch, es riecht nach Meer. Hitze umspült seinen Körper, strömt sämig aus dem Fenster. Jetzt öffnet die Astbrecherin ihre Balkontür und hüpft nackt in den Regen. Er starrt, genießt ihre Freiheit, um gleich zu bedauern, nicht bei ihr sein zu können.
    Es gießt sich ein, entfernte Blitze, er will bei der Schönen sein, streift, nackt, Wohnung, wahrscheinlich ist er nicht der Einzige, der zuschaut, will sie lieben, beginnt sich vorzustellen, wie sie verschwitzt im Bett liegen – wie mit Amaia und Lisa damals, in Barcelona, sein Schwanz wird steif, er spielt, dringt langsam ein, verschwimmt, wird von diesem lösenden Schauer ¡hochgejagt!, knallt an den Tisch ¡Verflucht! Er reibt sich den Schmerz aus dem Knie. Die Nackte steht jetzt hinter ihrer Balkontür. Sie hält einen goldenen Stab in den Händen. Sie schaut zu ihm rüber – dummer Querschuss des Gehirns –, er winkt ihr verschlafen zu. Sie ihn zu sich.
    In die Seitenwände des Hauseingangs sind sechs schmale Säulen eingelassen. Ihre Kapitelle zeigen fröhlich verklärte Jünglinge. Die Farbe blättert blassgrün von den Wänden. Was hatte die schon alles gesehen, in sich aufgesogen, der Modergeruch erinnert ihn an den Weinkeller seines Urgroßvaters. Im zweiten Stock steht die linke der beiden braun gestrichenen Holztüren sperrangelweit offen. Das Klingelschild ist namenlos. Er klopft dreimal an. »Komm rein!«, schallt es dumpf, wohl aus einem hinteren Teil der Wohnung. Es riecht nach frisch gewaschener Wäsche. Nichtraucherin wahrscheinlich, denkt er. Zu seiner Rechten die Küche, er sieht nur die linke Ecke: graues Ledersofa, Holztisch im mediterranen Stil, vintage Teeservice und obligatorisches »Le Chat Noir«-Poster an der Wand. Dann eine weitere Tür, an der ein kleiner Holzrahmen hängt. Darin liegt die Schwarz-Weiß-Kopie einer Mangafigur schief. Verschmitzt streckt sie dem Betrachter die Zunge entgegen. Am Schloss erkennt er, dass es das Bad sein muss. Am Ende des Flurs müsste sie also sein. Die Tür ist angelehnt, aus dem Spalt quillt leise klassische Musik. Er geht auf sie zu und klopft wieder an. »Komm rein!«, ruft sie, bestimmter jetzt. »Ich bin hinten!« Er muss wieder an Amaia und Lisa denken, wie sie gen Meer blickend auf der Terrassenbrüstung in Barcelona sitzen. Er ärgert sich darüber. Er steht im Wohnzimmer, der offenen Balkontür gegenüber, auf den Dielen Spuren ihres Regentanzes. Die Wände rohverputzt, rechts in der Ecke ein Schreibtisch – Glasplatte auf gusseisernem Ständer einer alten Veritas-Nähmaschine, Regengeruch. An der linken Wand ein weiß
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