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Der Clown ohne Ort

Der Clown ohne Ort

Titel: Der Clown ohne Ort
Autoren: Thomas Martini
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Methode. Inzwischen wusste er ziemlich genau, was mit ihm passiert war. Aus Schutz vor den Abgründen der Selbstdiagnose hatte er sich in etwas gestürzt, das man Karriere nannte.
    Er presst zwei Knoblauchzehen in ein Schälchen und verrührt sie mit etwas Salz und Olivenöl. Er lässt die Masse ziehen und klopft in der Zwischenzeit ein Kalbssteak mit den Fingerrücken der geballten Faust flach. Dann stellt er die Pfanne auf den Herd, quetscht eine halbe Zitrone über den nässenden Knoblauch. Zwischendurch schenkt er sich ein Glas weißen Bordeaux ein. Er legt das Fleischstück in die heiße Pfanne. Nach einer halben Minute wendet er das Steak, stellt den Herd ab, nimmt einen flachen Teller aus dem Regal, greift sich ein Stück Baguette, pfeffert und legt das blutende Stück Fleisch in das aufgeschnittene Brot, beträufelt es mit zwei Teelöffeln der vorbereiteten Sauce und geht ins Wohnzimmer.
    Nach dem Essen schlurft er zurück in die Küche, stellt Teller und Besteck in die Spülmaschine, setzt sich mit der Weinflasche vor den Computer und holt sich einen runter. Dann duscht er.
    Er steht auf dem Balkon. Die Frühlingsluft zieht Knospen. Er hat eine eigentümliche Wärme, dieser April, lichtes Graugrün. Inzwischen hatte er den Fernseher aus seiner Wohnung verbannt, nur über das Internet hält er sporadisch Ausschau nach den neuesten Entwicklungen, er, der Informationsjunkie. Es half einigermaßen. Ihn erstaunte die Klarsicht, die er durch die Ausdünnung wiedergewann, das Gefühl, über den Chimären einer ungehindert auf den interessierten Beobachter einprasselnden Welt zu stehen, mit der er nun gleichzeitig weniger und viel mehr zu tun hatte. Sollte sie tatsächlich der ungestüme Ausdruck einer in ihm keimenden, tiefen Gesundheit …? Er trinkt in einem Zug ein weiteres Glas leer. Verrückte Vernunft – zu gewöhnlich. Er dreht sich eine Zigarette und raucht sie hektisch mit dem nächsten Glas. Da war nichts mehr, was man vernünftigerweise sein konnte, alles stank nach Monade.
    Gegen vier Uhr nachmittags wacht er auf. Sein Mobiltelefon zeigt drei Anrufe in Abwesenheit. Zwei Tastendrücke weiter: »Daheim«. Seit einem Monat hat er nichts von seinen Eltern gehört. Als er das Gerät beiseitelegt, vibriert und blinkt es wieder. »Frohe Ostern!« steht am Anfang der Nachricht. Er hat den Feiertag komplett vergessen. Er dreht sich ins Kissen und schläft weiter.
    Den nächsten Vormittag versitzt er wieder. Die Sonne scheint freundlich. Sie wärmt das Zimmer angenehm. Die Uhr schlägt zwölf. Ruhig nimmt er das in Griffweite stehende Wasserglas von der Sofalehne, betrachtet es still, hart, fokussierend, entschlossen dann und wirft es mit voller Wucht in die Zimmerecke. Ihm springen Splitterglitzer und Chaostheorie in den Sinn. Er steht auf, holt ein weiteres Glas aus der Küche und wiederholt das Spiel. Was hält die Menschen im Leben? Immerhin war schlafen besser als tot sein, denkt er, eine Ordnung im Splitterfeld suchend. Er weiß nicht, was das soll. Wieder kommt es hoch – er ergibt sich dem Lachanfall und geht barfuß in die Scherben.
    Allein zu sein ist nur anfangs erschreckend. Die Menschen flüchten sich gerne in die Sicherheit der Zweisamkeit. Die wenigsten haben die Kraft, sich alleine zu erleiden. Selbst gewählte Einsamkeit ist schön, unfreiwillige schwer zu ertragen, denkt er. Er zieht sich an und geht spazieren.
    Der Treptower Park empfängt ihn mit dem Duft einer Aalräucherei. Der Schnitt im linken Fuß schmerzt zunehmend. Er hinkt durch die Schwaden und setzt sich nach kurzem Spaziergang in der Nähe der Insel der Jugend auf eine Bank. Viel ist nicht los an diesem Nachmittag. Nur träumend war ihm zweisam. Still sitzt er eine Stunde abwesend da. In sich selbst gekehrt wurde die Welt … das Zittern seiner linken Hand – ich brauche Beschäftigung, denkt er. Er steht auf, geht zum nahe gelegenen Kiosk und kauft sich ein Stadtmagazin. Auf dem Rückweg blättert er die Stellenanzeigen durch. Auf Seite 173 sucht ein Open Air Theater Praktikanten. Es scheint um die Koordination zweier Theaterstücke zu gehen. Ohne Bezahlung selbstverständlich.
    Nach drei Tagen wählt er die Nummer, weitere fünf Tage später sitzt er vor der etwa dreißigjährigen Frau Resch. Er sollte etwa ein halbes Jahr praktisch umsonst arbeiten – aus dem »umsonst« war ein »natürlich bezahlt« geworden, was drei Monate umsonst und drei Monate praktisch umsonst bedeutete – und dafür musste er sich also bewerben.
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