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Der Botschafter

Der Botschafter

Titel: Der Botschafter
Autoren: Daniel Silva
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zerfallen, zwei Weltkriege waren geführt worden, Menschen waren auf dem Mond gelandet und heil zurückgekommen, aber in dem sanften Hügelland zwischen den Flüssen Bann und Callon hatte sich nie viel verändert.
    Kyle Blake konnte seine Familiengeschichte im County Armagh vier Jahrhunderte weit zurückverfolgen. Seine Vorfahren waren während der großen Kolonisierung Ulsters, die 1609 begonnen hatte, aus dem schottischen Hochland gekommen. Sie hatten neben Oliver Cromwell gekämpft, als er in Ulster gelandet war, um die katholische Rebellion niederzuschlagen. Sie waren an den Massakern an Katholiken in Drogheda und Wexford beteiligt gewesen. Als Cromwell den Landbesitz von Katholiken beschlagnahmte, bestellten Blakes Vorfahren die Felder und machten das Land zu ihrem Besitz.
    Als im 18. und 19. Jahrhundert in Armagh religiös motivierte Gewalt wütete, schlössen Angehörige der Familie Blake sich den Peep O'Day Boys an, die so genannt wurden, weil sie katholische Häuser kurz vor Tagesanbruch überfielen. 1795 waren die Blakes Gründungsmitglieder des Oranierordens.
    Fast zwei Jahrhunderte lang waren die Oranier von Portadown am Sonntag vor dem 12. Juli - dem Jahrestag des Sieges Wilhelms von Oranien über den katholischen Jakob II. in der Schlacht am Boyne 1690 - zur Pfarrkirche von Drumcree marschiert. Aber letzten Sommer, in der ersten Marschsaison nach dem Friedensabkommen, hatte die Regierung den Forderungen der Katholiken nachgegeben und den Oraniern verboten, auf der überwiegend katholischen Garvaghy Road nach Portadown zurückzumarschieren. Das Verbot führte in ganz Ulster zu Ausschreitungen, auf deren Höhepunkt drei kleine katholische Jungen starben, als Loyalisten eine Benzinbombe durch ein Fenster ihres Elternhauses in Ballymoney warfen.
    Kyle Blake war kein Oranier mehr - er war schon vor Jahren aus dem Orden ausgetreten, als er sich erstmals einer protestantischen paramilitärischen Gruppe angeschlossen hatte -, aber dieses Schauspiel, daß britische Soldaten loyalistischen Marschierern den Weg versperrten, war zuviel für ihn. Seiner Überzeugung nach hatten die Protestanten das Recht, auf öffentlichen Straßen zu marschieren, wann und wohin sie wollten. Seiner Überzeugung nach waren ihre jährliche n Paraden ein legitimer Ausdruck protestantischer Tradition und Kultur in Nordirland. Und seiner Überzeugung nach war jede Einschränkung ihres Marschrechts bloß ein weiteres Zugeständnis an die gottverdammten Taigs.
    Nach Blakes Auffassung sagte das Marschverbot in Drumcree etwas weit Bedrohlicheres über die politische Landschaft Nordirlands aus: Die protestantische Vorherrschaft in Ulster bröckelte, und die Katholiken befanden sich auf der Siegesstraße.

    Blake hatte dreißig Jahre lang zugesehen, wie die Briten den Katholiken und der IRA ein Zugeständnis nach dem anderen machten, aber das Friedensabkommen vom Karfreitag war mehr, als er ertragen konnte. Seiner Überzeugung nach konnte es nur zu einem führen: zum Rückzug der Briten aus Nordirland und zur Vereinigung Ulsters mit der Republik Irland. Zwei frühere Versuche, die Provinz Ulster zu befrieden - das Sunningdale-Abkommen und das Anglo-Irische Abkommen -, waren durch protestantische Unnachgiebigkeit torpediert worden. Kyle Blake hatte sich geschworen, auch das Karfreitagsabkommen zu Fall zu bringen.
    Letzte Nacht hatte er den ersten Schritt dazu getan. Er hatte einen der spektakulärsten internationalen Terroranschläge organisiert, der gleichzeitig die Sinn Fein, die irische Regierung und die Briten getroffen hatte.
    Die Türme der St. Mark's Church waren jetzt zu sehen, die über der Market High Street aufragten. Blake parkte vor seiner Druckerei, obwohl sie mehrere Straßen von seinem Ziel entfernt war. Während er an mit Rolläden und Scherengittern gesicherten Ladentüren und Schaufenstern vorbeiging, achtete er sorgfältig darauf, ob er beschattet wurde.
    Ironischerweise war Blakes Taktik nicht von protestantischen paramilitärischen Gruppen, sondern von den Männern der IRA inspiriert, die in seiner Heimatstadt Portadown immer wieder Bombenanschläge verübt hatten. Seit Ausbruch der gegenwärtigen Unruhen im Jahre 1969 hatte die IRA ihre Feinde - die britische Armee und die Royal Ulster Constabulary - bekämpft und darüber hinaus spektakuläre Terroranschläge verübt. Obwohl sie britische Soldaten erschossen, Lord Mountbatten ermordet und sogar versucht hatte, das gesamte britische Kabinett in die Luft zu jagen, war es
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