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Der Botschafter

Der Botschafter

Titel: Der Botschafter
Autoren: Daniel Silva
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fragend an. Rebecca war groß und durchtrainiert, und auch der dicke Wollpullover konnte ihre breiten Schultern nicht verbergen. Schulterlanges schwarzes Haar umrahmte ein Gesicht mit breiten Backenknochen. Ihre Augen waren oval, die Iris grau wie ein wolkenverhangener Wintertag. Wie unzählige Frauen in Nordirland war sie viel zu jung Witwe geworden. Ihr Mann war beim Nachrichtendienst der UVF gewesen, bis ein IRA-Attentäter ihn in West Belfast erschossen hatte. Rebecca, die damals schwanger gewesen war, hatte noch in derselben Nacht eine Fehlgeburt gehabt. Nach ihrer Genesung hatte sie sich der UVF angeschlossen und die Arbeit ihres Mannes fortgeführt. Sie war aus der UVF ausgetreten, als sie einem Waffenstillstand zustimmte, und hatte sich einige Monate später heimlich mit Kyle Blake verbündet.
    Das Hauptverdienst an der Ermordung Eamonn Dillons konnt e Rebecca Wells für sich beanspruchen. Sie hatte sich mit viel Geduld eine Informantin in der Sinn-Fein-Zentrale in der Falls Road herangezogen eine ziemlich unattraktive junge Frau, die dort als Büroangestellte arbeitete. Rebecca hatte sich mit ihr angefreundet, sie zu Drinks eingeladen und sie mit Männern bekannt gemacht. Nach einigen Monaten begann ihre Freundschaft Früchte zu tragen. Die junge Frau hatte Rebecca unabsichtlich fortlaufend mit wertvollen Informationen über die Sinn Fein und ihre führenden Männer versorgt - über Strategien, interne Dispute, persönliche Angewohnheiten, sexuelle Vorlieben, geplante Termine und Sicherheitsmaßnahmen. Diese Informationen hatte Rebecca an Gavin Spencer weitergegeben, der dann die Ermordung Dillons geplant hatte.
    »Die Polizei hat ein Phantombild von ihm erstellt«, fuhr sie fort. »Jeder Polizeibeamte in der Provinz hat eines in der Tasche. Wir können ihn nicht wieder umquartieren, bevor die Dinge sich beruhigt haben.«
    »Sie werden sich nie beruhigen, Rebecca«, sagte Blake.
    »Je länger er in seinem Versteck bleibt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, daß er aufgespürt wird«, sagte sie. »Und falls er entdeckt wird, sind wir ernstlich gefährdet.«
    Blake sah zu Gavin Spencer hinüber. »Wo ist Bates jetzt?«
    Der Mann in der aus Natursteinen erbauten Scheune außerhalb von Hillsborough war seit der Ermordung Eamonn Dillons auf der Falls Road ein halbes dutzendmal umquartiert worden. Weil die Gefahr bestand, daß die ausgezeichnet arbeitenden Horchgruppen des Nachrichtendienstes der britischen Armee das Geräusch orten würden, durfte er kein Radio haben. Weil die Gefahr bestand, daß die Infrarotsensoren des Militärs eine ungewöhnliche Wärmequelle orten würden, durfte er keine Kochstelle haben. Sein Bett war ein steinhartes Feldbett mit einer Wolldecke, die kratzig wie Stahlwolle war; seine grüne Öljacke, die er bei dem Attentat getragen hatte, diente ihm als Kopfkissen. Er lebte von Trockennahrung - Biskuits, Kräcker, Kekse, Nüsse - und Büchsenfleisch. Rauchen durfte er, aber er sollte vorsichtig sein, damit er das Heu nicht in Brand setzte. Sein Klo war ein Blecheimer. Der Gestank war anfangs unerträglich gewesen, aber er hatte sich allmählich daran gewöhnt. Er hätte das verdammte Ding gern öfters ausgeleert, aber seine Führungsoffiziere hatten ihm eingeschärft, er dürfe die Scheune auf keinen Fall verlassen, auch nachts nicht.
    Sie hatten ihm eine merkwürdige Zusammenstellung von Büchern dagelassen: Biographien von Wolfe Tone, Eamon de Valera und Michael Collins sowie einige zerlesene Bände mit holprigen republikanischen Gedichten. In einem der Bücher steckte eine handschriftliche Notiz: Kenne deinen Feind, sagt Sun Tsu. Lies diese und lerne. Aber der Mann lag die meiste Zeit nur auf seinem Feldbett, starrte in die Dunkelheit, rauchte seine Zigaretten und durchlebte nochmals die entscheidenden Augenblicke auf der Falls Road.
    Bates hörte das Nageln eines Dieselmotors. Er stand auf und sah durch ein kleines Fenster nach draußen. Ein Lieferwagen kam ohne Licht den Feldweg entlang und hielt auf der Mischung aus Schlamm und Kies vor dem Scheunentor. Zwei Personen stiegen aus; der Fahrer war groß und muskelbepackt, sein Beifahrer kleiner und leichtfüßiger. Einige Sekunden später hörte Bates, wie ans Tor geklopft wurde. »Leg dich aufs Bett - mit dem Gesicht nach unten«, forderte eine Stimme ihn auf.
    Bates tat wie ihm geheißen. Er hörte seine Besucher eintreten.
    Im nächsten Augenblick wies dieselbe Stimme ihn an, er solle sich aufsetzen. Der große Mann hockte
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