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Der böse Geist vom Waisenhaus

Der böse Geist vom Waisenhaus

Titel: Der böse Geist vom Waisenhaus
Autoren: Stefan Wolf
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Wagen.
Da ist keine Möglichkeit, mich eben mal zwischendurch mit dem neuen Liebhaber
meiner Frau zu treffen, um über Anna zu verhandeln. Denken Sie sich was anderes
aus. Dann können Sie mich ja anrufen. Ende!“
    Schengmann legte auf.
    Mistkerl! dachte Wolpert. Aber
dich koche ich weich. Du wirst Anna freiwillig herausgeben.
    Er wußte: Ohne ihre Tochter
würde Edith verkümmern. Sie liebte Anna und würde nie auf sie verzichten. Also
mußte die Kleine her. Deshalb! Damit Edith ihre Traurigkeit ablegte.
    Wolpert war kein Kinderfreund.
Kinder waren ihm gleichgültig. Aber weil er Edith sehr liebte, konnte er es
nicht ertragen, sie so unglücklich zu sehen. Also würde er über seinen eigenen
Schatten springen und sich aufführen wie ein brauchbarer Stiefvater. So
schwierig konnte das ja nicht sein.

3. Nervensäge
     
    Der Freitag war so häßlich wie
der Donnerstag, nämlich kalt, grau und regnerisch.
    Mittags, kurz nach dem Essen,
traf die TKKG-Bande sich am Altstadtmarkt.
    Gaby brachte Oskar mit, ihren
schwarzweißen Cocker, der die Jungs — besonders Tim — abgöttisch liebte.
Dementsprechend fiel die Begrüßung aus. Unter hundert Streicheleinheiten war
Oskar nicht zufrieden.
    Dann lief er brav neben Gabys Tretmühle,
angeleint natürlich, und mit wehenden Schlappohren.
    Ziel war die Blumen-Straße.
    Dafür gab es mehrere Gründe.
    Tim wollte, wenn irgendwie
möglich, heimlich in den beiden Schuppen im Hof von Schengmanns Anwesen
nachsehen. Daß dort die sterblichen Reste von Edith Schengmann versteckt waren,
hielt der TKKG-Häuptling zwar für höchst unwahrscheinlich. Aber vielleicht
schloß der unsympathische Typ dort irgendwelche düsteren Geheimnisse weg, die
besser aufgedeckt wurden — im Interesse des Kindes.
    Gabys Grund, die
Schengmann-Adresse anzusteuern, war Anna.
    „Wir müssen mit ihr reden“,
hatte Gaby vormittags in der großen Pause gefordert, „feststellen, was gestern
wirklich gelaufen ist und wie es um Anna steht — ganz allgemein. Auch im
Hinblick auf die Mutter. Anna ist vier. Seelischer Schaden, der dann nicht mehr
zu reparieren wäre, entsteht in diesem Alter sehr schnell.“
    Tim überlegte, während er, über
den Lenker gebeugt, voran fuhr. War die Mittagszeit günstig? Hielt Schengmann
sich zu Hause auf wie gestern? Oder ging er einem Beruf nach? Wer achtete dann
auf Anna?
    „O weh!“ sagte Karl in diesem
Moment. „Wir kriegen Verstärkung.“
    Sie fuhren gerade am Wende-Park
vorbei, einer kleinen Grünanlage, wo die Wege asphaltiert sind. Radeln ist dort
erlaubt; und Christian Reithl, stolz auf sein knallrotes Kinderfahrrad, schoß
auf breiten Reifen heran.
    Er war neun, der Sohn des
Schulzahnarztes und eigentlich ein netter Junge. Eigentlich, denn er konnte
auch nerven. Das lag daran, daß er sich zum Fan der TKKG-Bande entwickelt
hatte. Wo auch immer er die vier traf, rastete er aus vor Begeisterung. Und
erzählte auch jedesmal, wie sehr er sich freue, daß er nächstes Jahr zur
Internatsschule komme, in die fünfte Klasse — den neusprachlichen Zweig.
    „Tim!“ brüllte er. „Hallo, Tim!
Gaby, Karl, Willi! Wo wollt ihr denn hin? Darf ich mit?“

    Seine Bremsen quietschten. Er
hielt neben Tim.
    „Hallo, Christian!“ sagte der
mit mühsamer Freundlichkeit. Christian, ein blonder Lockenkopf, hatte braune
Augen, in denen immer ein Ausdruck stummer Verzweiflung lag. Gekleidet war er
chic, trug die lässigsten Klamotten aus der Kinder-Boutique. Für die Höhe
seines Taschengeldes war er berühmt. Was ihm fehlte, war die Frische im
Gesicht. Immer blaß. Und außerdem schmächtig, obwohl Dr. Reithl, sein Vater,
ein bulliger Typ war: eine Landschaft aus Speck, Fleisch und Fett — wie Gaby
mal abfällig bemerkt hatte.
    „Na, wie geht’s dir denn,
Christian?“ fragte Tim.
    „Prima. Darf ich mitkommen?“
    Die vier lächelten säuerlich.
    „Im Moment geht es nicht“,
sagte Tim.
    „Ich habe 50 Mark. Wir können
Eis essen.“
    „Ein anderes Mal“, sagte Tim.
„Wir haben da eine Sache zu erledigen. Da kann niemand mit.“
    „Was Gefährliches? Bitte,
bitte! Laßt mich mitkommen. Oskar ist doch auch dabei. Und...“
    „Heute nicht!“ erklärte Tim in
bestimmtem Ton. „Bei anderer Gelegenheit darfst du dich anschließen.“
    „Das sagst du jedesmal.“
    Tränen schossen dem Jungen in
die Augen. Seine Unterlippe zitterte.
    Das gibt’s doch nicht! dachte
Tim erschrocken. Was ist los mit ihm?
    „Versteh das doch!“ Er klopfte
dem Kleinen auf die Schulter. „Du
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