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Der böse Geist vom Waisenhaus

Der böse Geist vom Waisenhaus

Titel: Der böse Geist vom Waisenhaus
Autoren: Stefan Wolf
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bist erst neun. Du bist noch zu jung für die action,
die bei uns läuft. Da geht es heiß zu. Die Verantwortung für dich können wir
nicht übernehmen. Wenn wir mal nichts vorhaben, kannst du uns begleiten.
Gebongt?“
    Christian schluchzte und konnte
kaum atmen dabei.
    „Aber ihr habt doch immer was
vor. Ich verstehe. Ihr könnt mich nicht leiden. Keiner kann mich leiden. Aber
ich euch auch nicht. Alle nicht.“
    Sprach’s, riß sein Fahrrad
herum und preschte in den Wende-Park zurück.
    Verblüfft sahen sie dem Jungen
nach.
    „Jetzt hat er’s uns aber
gegeben“, lachte Karl. „Hoffentlich bleibt er bei seiner Abneigung. Ich habe ja
nichts gegen die Kurzen, aber eine Klette wie Christian ist wie eine
ansteckende Krankheit.“
    „Diese freche Laus!“ meinte
Klößchen und schob sich zwei Rippen Schoko in den Mund.
    „Ich weiß nicht“, sagte Tim.
„Das ist doch krank, wie er sich benimmt.“
    „Mir tut er leid“, sagte Gaby,
„und ich weiß auch, warum.“
    „Nämlich?“ fragte Tim.
    „Das läßt sich mit einem Satz
nicht erklären. Ich glaube, es sind die Verhältnisse in Christians Elternhaus.
Meine Freundin Beate aus dem Schwimmclub wohnt neben den Reithls. Sie hat mir
einiges erzählt. Und Beate übertreibt nicht. Sie hat aufgeschnappt, was ihre
Eltern sagen. Die sind zwar gut bekannt mit den Reithls, aber nicht so eng
befreundet, daß sie nicht übereinander reden.“
    „Was ist denn nun?“ fragte Tim
ungeduldig. „Leben Christians Eltern in Scheidung?“
    „Im Gegenteil. Nach außen hin
zeigen die das schönste Eheleben vor. Das muß auch sein, damit ihr
gesellschaftliches Ansehen nicht leidet. Die Reithls sind Schickimicki-Typen.
Auf jeder Party, auf jedem Fest, tolle Villa, zwei Sport- und einen
Geländewagen. Er geht zur Jagd. Sie fährt von einer Schönheitsfarm zur andern.
Christian ist arm dran. Der läuft so nebenbei mit. Keiner kümmert sich richtig
um ihn. Meistens stört er. Dann muß er — wenn Gäste kommen, und die kommen
häufig — schon um sechs Uhr ins Bett. Immerhin hat er einen großen
Fernsehapparat im Kinderzimmer. Vor dem hockt er dann bis nachts um eins. Die
Eltern wissen das. Aber da er dann nicht stört, lassen sie’s zu. Und Dr. Reithl
trinkt.“
    „Trinkt?“ Tim runzelte die
Stirn. „Du meinst Alkohol?“ Gaby nickte. „Beate sagt, ihre Eltern hielten ihn
für einen Alkoholiker. Er trinkt auch während seiner Tätigkeit als Zahnarzt.
Wenn er nicht trinkt, zittern ihm nämlich die Hände. Und bohre mal mit ‘nem
Tatterich in den Fingern.“
    „Da würde er glatt zwei Zähne
gleichzeitig treffen“, lachte Klößchen.
    „Es ist leider nicht komisch“,
sagte Gaby. „Denn wenn er zuviel trinkt, wird er bösartig. Beate hat gehört,
wie er rumbrüllte zu Hause.“
    „Wenn das alles stimmt“, sagte
Tim, „dann ist Christian zu bedauern. Wir sollten ihn doch mal mitnehmen.
Vielleicht spricht er sich aus.“
    „Und dann?“ fragte Karl.
„Willst du den Reithls aufs Dach steigen? Sie anzeigen, weil ihr Söhnchen verwahrlost?
Völlig undenkbar, Tim. Es sind sogenannte honorige Leute. Gute Steuerzahler.
Gehobener Mittelstand. Stützen unserer gesamtdeutschen Gesellschaft. Man würde
uns auslachen. Und was wäre denn vorzubringen? Daß Christian heult, wenn man
ihn zurückweist? Daß er zulange fernsehen darf? Daß er zuviel Taschengeld
kriegt und sich damit Freundschaft erkaufen will?“
    „Hast leider recht“, sagte
Gaby. „Es käme nichts dabei raus. Christians Situation trifft zu für viele
andere. Es fehlt oft an elterlicher Liebe, an Nestwärme. Weil viele Mütter und
Väter nur mit ihrem Kram beschäftigt und trotzdem überfordert sind. Woher soll
dann die Hinwendung kommen zum Nachwuchs? So gut wie wir haben es wirklich
nicht alle.“
    Tim nickte. „Deshalb können wir
auch viel Energie freisetzen für nützliche action. Und die richten wir jetzt
auf Schengmann und Anna und was es da gibt an Problemen.“

4. Taschentuch von E. S.
     
    Sie standen an der Haustür. Tim
hatte viermal geläutet. Nichts rührte sich.
    „Da ist niemand zu Hause“,
meinte Klößchen.
    Tim blickte hinüber zu Nr. 9,
dem Nachbarhaus, wo an der Schmalseite ein Fenster geöffnet wurde.
    Eine ältliche Frau in blauer
Kittelschürze beugte sich heraus. „Herr Schengmann ist auf Arbeit“, rief sie.
„Der kommt erst abends zurück.“

    „Und Anna?“ rief Gaby. „Wo ist
die?“
    „Im Kindergarten Dornröschen in
der Brenner-Straße. Herr Schengmann bringt sie morgens
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