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Der böse Geist vom Waisenhaus

Der böse Geist vom Waisenhaus

Titel: Der böse Geist vom Waisenhaus
Autoren: Stefan Wolf
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mit verschärftem Tempo. Er hatte erzählt.
    „Ist doch mehr ein Fall für die
Polizei als für uns“, schnaufte Klößchen, der bedrohlich viel action auf sich
zukommen sah.
    „Erstens ist Gabys Vater nicht
da“, erwiderte Tim, „sondern auf Euro-Lehrgang für Sonderkommissare in Brüssel.
Und an wen sonst sollten wir uns ranschmeißen mit so einer Sache? Zweitens
könnte Annas Hilferuf blinder Alarm sein — ein Mißverständnis.“
    „Sehr gut möglich.“ Karl
nickte. „Eine Vierjährige hat noch nicht den Durchblick und erschrickt sich
dann leicht.“
    „Aber wir“, sagte Gaby, „werden
alles genau überprüfen.“
    „Vielleicht kriegen wir eins
auf den Deckel“, rief Klößchen, der hinten fuhr. „Sicherlich ist die Frau nur
bewußtlos. Und wir mischen uns in eine Familienangelegenheit ein. Das ist
privat.“
    „Spinnst du?“ Tim schüttelte
den Kopf. „Ein Kind ruft um Hilfe. Selbstverständlich mischen wir uns da ein.
Die Scheu davor, die Hemmung — das ist es ja gerade, weshalb soviel Unglück
nicht verhindert wird. Es gibt doch nicht nur intakte Familien.“
    „Stimmt! „ pflichtete Gaby ihm
bei. „Ich weiß es von meinem Papi. Allzu oft ist die Familie Schauplatz von
Verbrechen. Von Mißhandlung, Quälerei und Körperverletzung. Damit meine ich:
Unfähige und verrohte Eltern begehen diese Verbrechen an ihren Kindern. An
kleinen Kindern, also den hilflosesten unter den Menschen.“
    „Hab’ davon gehört“, sagte
Klößchen. „Aber Anna sagte doch, die Mamma sei tot.“
    „Wo ist da der Unterschied?“
rief Tim. „Was es auch ist: Wir mischen uns ein. Grundsätzlich mischen wir uns
ein, wenn irgendwo Unrecht geschieht.“
    Er spähte nach vorn.
    Dort begann die Blumen-Straße.
    Sie war, als Wohngegend, eher
kleinkariert, aber nicht übel.
    Schlichte Häuser. Gärten.
Kleine Gewerbebetriebe. Wer keine Garage hatte, parkte seinen Klein- oder
Mittelklassewagen am Bordstein.
    Jetzt — es war ein kalter Tag
mit Nieselregen und grauem Himmel — war wenig los auf Fahrbahn und Gehsteig.
    Tim ließ sein Rennrad rollen
und hielt Ausschau.
    Nur ein Haus war gelb.
    Es wirkte verkommen, das übrige
Grundstück auch: ein Hof mit Schuppen, ein ungeliebter Garten hinter dem Haus,
eine Kinderschaukel am Metallrohrgestell.
    Die Seile der Schaukel fransten
aus, waren lebensgefährlich abgenutzt.
    Nr. 11 — das Blechschild neben
der Haustür hatte Roststellen.
    Tim sah zur Uhr. Sie hatten
zwölf Minuten gebraucht, knapp 13 — genaugenommen.
    Tretmühlen an den Zaun. Zur
Haustür. Dort war neben der Klingel der Name angebracht: SCHENGMANN Tim drückte
auf den Schrillknopf, mehrmals.
    Nach einer halben Minute wurde
geöffnet. Von einem Mann.
    Hager, engstehende Augen, Mitte
Dreißig, Freizeitkluft. Er hatte knochige Hände.
    Will ja nicht vorurteilig sein,
dachte Tim. Aber der ist mir unsympathisch.
    „Ja?“
    Die Stimme klang rauh.
    „Herr Schengmann?“ fragte Tim.
    „Ja. Was wollt ihr?“
    „Wir wollen zu Anna.“
    „Meine Tochter schläft. Worum
geht’s?“
    „Ich nehme an, Sie haben das
noch gehört, bevor das Telefonat unterbrochen wurde — von Ihnen.“
    „Ach so.“
    Er versuchte ein Lächeln. Mit
dem gleichen Erfolg hätte er tausend Pfund heben können.
    „Was heißt: ach so?“ Tims Ton
wurde scharf. „Anna war außer sich vor Angst. So angstvoll, daß die Kleine
irgendeine Telefonnummer gewählt hat und zufällig bei uns ankam — wo sie genau
richtig ist. Sie sagte, der Papa habe die Mamma totgeschlagen.“
    „Das ist doch Unsinn. Totaler
Unsinn.“
    Schengmann spreizte die Beine
und versperrte die Tür.
    „Wir möchten Anna sehen“, sagte
Tim, „und mit ihr reden.“
    „Ich sage doch: Falscher Alarm.
Anna ist seelisch total durcheinander, seit meine Frau uns verlassen hat. Anna
bildet sich Dinge ein, hat Alpträume, sieht Gespenster. Hier ist nichts
passiert.“

    „Dürfen wir reinkommen?“
    „Nein.“
    Tim stellte sich dicht vor ihn
hin.
    „Wir werden aber reinkommen.
Ihre kleine Tochter hat um Hilfe gerufen. Vielleicht wurde hier ein Verbrechen
verübt. Vielleicht ist hier eine Verletzte, die Hilfe braucht. Vielleicht ist
Anna in Gefahr. Vielleicht ist alles ein Irrtum, und wir können beruhigt wieder
abziehen. Aber vorher sehen wir nach.“
    In Schengmanns Knochengesicht
traten die Kiefer hervor. „Mach einen Schritt über diese Schwelle — und ich
schlage dich zum Krüppel.“
    Tim sah in die engstehenden
Augen.
    „Nur zu! Versuchen Sie’s.
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