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Der böse Geist vom Waisenhaus

Der böse Geist vom Waisenhaus

Titel: Der böse Geist vom Waisenhaus
Autoren: Stefan Wolf
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hin, spätnachmittags
holt er sie ab.“
    Gaby bedankte sich für die
Auskunft. Die Nachbarin schloß das Fenster. Der Raum dahinter, offenbar eine
Wohnküche, war erleuchtet. Tim konnte sehen, wie die Frau in den Flur
schlurfte, also nicht auf ihrem Beobachtungsposten blieb.
    „Los!“ sagte er. „Hinters Haus.
Da sind wir ungesehen. Wir müssen rein in die Bude.“
    „Spinnst du?“ fragte Gaby. „Das
wäre Einbruch.“
    „Wir brechen nichts auf. Ich
habe gestern gesehen: Das kleine Fenster vom Klo ist nur angekippt, nicht
geschlossen. Ich weiß, wie man durch den Spalt greifen und den Hebel
runterdrücken kann. Dann sind wir drin.“
    „Falls ich durchpasse“, sagte
Klößchen.
    Tims Vorhaben glückte. Das
Fenster war tatsächlich angekippt, und er konnte es öffnen.
    Die Kids stiegen ein. Klößchen,
um die Mitte der Kräftigste, steckte für einen Moment fest im Rahmen und bekam
Schweißperlen auf die Stirn.
    Aber Tim faßte ihn unter den
Armen und zerrte, Karl schob von hinten, und der dicke Schoko-Freund fluppte
durch die schmale Fensteröffnung.
    Gaby stand in der Diele,
Näschen und Stirn gekraust.
    „Wir klauen ja nichts“,
beruhigte Tim seine Freundin. „Wir sehen uns nur um im Interesse des Kindes.
Unser Motiv ist edel, und da heiligt der Zweck die ungewöhnlichen Mittel
allemal.“
    „Wenn ich nicht wüßte“,
erwiderte sie, „daß du geradezu gierig bist nach Verantwortung, würde ich dich
für verantwortungslos halten.“
    Tim grinste, küßte sie auf die
Nase, und Gaby pustete gegen ihren Pony, wovon auch der TKKG-Häuptling einen
Fauch abkriegte.
    „Seht mal, was ich hier habe.“
    Karl stand an Schengmanns
Schreibtisch, auf dem hauptsächlich Journale lagen und Lotto-Zettel. Der
Gedächtniskünstler hielt eine Kladde in der Hand.
    „Sein Terminkalender. Vorn
drauf der Firmenstempel.“ Karl rückte an seiner Nickelbrille und las vor:
„Angermüller-Sicherheitstransporte, Fleppenstraße 99, Telefon... Fax... Die
Nummern brauchen wir nicht, wie? Sieht so aus, als wäre Schengmann da
angestellt.“
    „Dem Typ“, sagte Klößchen,
„würde ich nicht mal mein Taschengeld anvertrauen. Angermüller stellt wohl
jeden ein.“
    „Wenn Schengmann einen guten
Leumund hat und nicht vorbestraft ist“, erklärte Gaby, „spricht in dem Fall
nichts gegen ihn. Daß er uns verdächtig vorkommt, steht auf einem anderen
Blatt.“
    Karl blätterte in der
Terminkalender-Kladde.
    „Für heute sind fünf Fahrten
eingetragen. Drei vormittags, um 15 Uhr nach Pürkheim, um 16 Uhr nach Wachrode.
Dahinter steht: Gesamtdeutsche Agrar- und Bauern-Bank. Und Bankhaus
Schnellfennik — mit F und K — und... äh... ist kaum leserlich. Heißt wohl:
Krauthammel.“
    „Schnellfennik und Kaulhammer“,
verbesserte Tim. „Ist eine Privatbank. Kenne ich.“
    „Hast du dort dein
Aktien-Depot?“ lachte Gaby.
    „Leider nicht. Aber ich bin an
dem Gebäude vorbeigefahren.“
    „Wir“, sagte Klößchen, „haben
dort ein Konto. Mein Vater, der Schoko-Industrielle, unterhält Konten bei fast
allen Banken. Habe ich euch schon erzählt, daß er ausgezeichnet wurde? Der
Fachverband hat ihm dieses Jahr die goldene Kakao-Bohne zuerkannt.“
    „Wofür gibt’s die?“ fragte
Gaby. „Für hohe Umsätze?“
    „Die gibt’s dafür, daß man sich
verdient gemacht hat um die Schokoladen-Industrie. Was auch immer das heißt.
Mein Papa hat das Ding zwar angenommen. Sind ja immerhin zehn Gramm pures Gold.
Aber die Auszeichnung an sich ist ihm schnuppe. Die sei genau so wenig wert wie
das Bundesverdienstkreuz, sagt er. Das kriegt auch jeder Blödel für einen
breitgesessenen Hintern auf irgendeinem Chefsessel oder in einer Behörde.“
    „Der Mensch braucht Orden.“ Tim
lachte. „Jedenfalls der Durchschnittsmensch, und wenn‘s ein Abzeichen ist für
Vereinstreue oder Club-Mitgliedschaft.“
    Karl legte die Kladde auf den
Schreibtisch zurück, rückte sie dann etwas nach links, damit sie genau lag wie
vorher.
    Tim bückte sich.
    Unter dem Schreibtisch, der
zwei Schublädenseiten hatte fast bis zum Boden, blinzelte etwas: hell, fast
weiß.
    Tim griff hinunter und zog ein
Taschentuch hervor. Ein Damentaschentuch, hauchzart, frisch, mit einem Rand von
Spitze.
    Daß es benutzt worden war,
zeigte eine winzige Spur Lippenstift.
    „Gebrochenes Zinnoberrot“,
sagte Gaby. „Wahrscheinlich ein Amadaina-Lippenstift, und zwar Nr. 14.“
    „Du kennst dich ja aus“, sagte
Tim und blickte ihr prüfend auf den Mund.
    Aber Gabys Lippen
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