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Der Blutkristall

Titel: Der Blutkristall
Autoren: Jeanine Krock
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verdächtig gewesen. Überhaupt in Begleitung eines solchen Tiers gesehen zu werden hatte Vivianne den Ruf eingebracht, eine Exzentrikerin zu sein. Das kümmerte den Vogel wenig, er ließ sich selbst durch unangenehme Begegnungen nicht davon abhalten, ihr hinterherzuspionieren, und behauptete jedes Mal, wenn sie sich darüber beklagte, es geschähe alles nur zu ihrem Besten.
    Als er um die Ecke spähte, um festzustellen, ob sie allein war, hatte Vivianne bereits die Schleife an ihrer Seidenbluse aufgezerrt und schlängelte sich gerade aus dem knielangen Rock. Er gab einen Ton von sich, der eher nach einem Husten klang, und flog auf die Lehne ihres Sessels.
    Sie bemerkte das Glitzern in seinen Augen nicht, die eher einem intelligenten und momentan sehr interessierten Mann zu gehören schienen als einem Vogel. Sie warf ihre Bluse achtlos in eine Ecke. «Welche Einladungen habe ich für heute?»
    «Bin ich dein Sekretär?»
    «Wenn du dich hier schon breitmachst», Vivianne wies auf die eingedrückte Stelle mitten ihn ihrem Bett, «dann kannst du ruhig auch etwas leisten.»
    «Ich bin dein Schutzengel, schon vergessen?»
    «Und meine Post zu lesen gehört das auch zur Jobbeschreibung?»
    Nabrah kratzte sich und schüttelte anschließend sein Gefieder. «Schon gut. Wie wäre es mit dem Empfang beim schwedischen Botschafter ...?»
    «Langweilig!»
    «Eine Einladung zur Premiere der ‹Götterdämmerung›.»
    «Wagner?» Vivianne sah auf die Uhr. «Die haben schon angefangen.»
    «Dann habe ich nur noch die Wohltätigkeitsveranstaltung von Madame de Plessis-Bellière.»
    Vivianne stöhnte. «Hortense veranstaltet die merkwürdigsten Partys der Stadt!»
    Er krächzte. «Das kann man wohl sagen. Dieses Mal hat sie in eine Höhle eingeladen. Vermutlich tragen die Kellner tote Tiere um die Hüften.»
    «Schwarze Federn wären eine prima Idee», grollte Vivianne und zog Nabrah eine Sandalette aus dem Schnabel. Tiefe Abdrücke zierten den schmalen Absatz.
    Müssen wir wirklich zu dieser verrückten Hortense gehen? Sie stinkt nach Katze. Seine Stimme, die nun ausschließlich in ihrem Kopf zu hören war, nahm einen klagenden Ton an.
    Vermutlich bekommt er das mit seinen Vogelstimmbändern nicht hin , dachte Vivianne.
    Nabrah hatte kürzlich die unangenehme Bekanntschaft mit Hortense’ Siamkater Louis machen müssen, dem es gelungen war, das Selbstbewusstsein ihres «Schutzengels» mit einem geschickt platzierten Pfotenschlag anzukratzen. Er schwor zwar, der Kater habe ihn nur erwischen können, weil er seine wahre Herkunft nicht verraten durfte, aber Vivianne mutmaßte, dass er tatsächlich einfach überrumpelt worden war. Viele Gelegenheiten gab es für ihn schließlich nicht, sie vor bösen Angreifern zu schützen, und vielleicht hatte ihn das faule Leben an ihrer Seite bequem und unaufmerksam gemacht. «Da du den Kater so verabscheust, wird es dich freuen zu erfahren, dass du heute hier bleiben darfst.»
    Das werden deine Brüder aber nicht gerne hören!
    Dann erzähle es ihnen besser nicht, am Ende verlierst du sonst noch deinen Kopf! Damit zog Vivianne die Tür hinter sich zu.
    «À ta santé!» Zum Wohl. Der Barkeeper stellte ungefragt das hohe Glas auf eine Serviette und schob beides zusammen über den breiten Tresen. Zu ihrer Erleichterung trug er kein Neandertalerkostüm, wie der Rabe es vorausgesagt hatte. Ganz im Gegenteil, man hätte meinen können, er sei der Gastgeber, so elegant wirkte er in seinem schwarzen Smoking. Der «Höhlenclub», wie Nabrah ihn genannt hatte, war unter dem Namen
«Le Chat Noir» bekannt. Er befand sich zwar tatsächlich in einer der zahllosen Katakomben der Stadt, denen man ansah, dass sie einst von Menschenhand aus dem Fels geschlagen worden waren, entpuppte sich aber als eine elegante Bar mit zuvorkommendem Service. In «die schwarze Katze» gingen an normalen Abenden junge Dandys in Begleitung hübscher Mädchen, die sich die Augen dunkel malten und lange Zigarettenspitzen zwischen manikürten Fingern hielten. Ihre langen Perlenketten stammten aus dem Kaufhaus, und auch sonst trugen sie keine wertvollen Originale, sondern aus billigen Stoffen selbst genähte Kleider oder Anzüge von der Stange. Das tat dem Vergnügen jedoch keinen Abbruch. Man gab sich verrucht, hörte Swing und erzählte jedem, der es hören wollte, der Tanz auf dem Vulkan habe längst begonnen. Die Gäste an diesem Abend jedoch trugen echten Schmuck und ihre Garderobe kostete mehr, als eine der Tänzerinnen, die
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