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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg
Autoren: Tad Williams
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ranken mußte, eine Geschichte von dunkler Romantik und erhabener Tragik, doch falls der Direktor oder sonst jemand das Geheimnis kannte, wahrte er striktes Stillschweigen darüber. Wenn die Mitarbeiter ihren Betonientee zusammen tranken und sich über Herrn Lungenkrauts gepolsterte Anzüge und die widerwärtigen Neigungen der Mutterkrautzwillinge die Mäuler zerrissen, nannten sie sie »die stumme Primeltochter« und spekulierten darüber, welches Schicksal sie in diesen beklagenswerten Zustand versetzt haben mochte. Nicht einmal die kühnsten Vermutungen kamen der Wahrheit im mindesten nahe.
    Denn es war zwar durchaus vorstellbar, daß für das Licht in diesen heute so tragisch erloschenen Augen früher einmal so mancher sein Leben verloren und seinen Ruf geopfert hatte, doch keiner der tratschenden Mitarbeiter in der Villa Zinnia hätte ahnen können, daß um dieses starren, toten Blickes willen möglicherweise bald schon eine ganze Welt in die ewige Finsternis versank.

 
3
Der Verfall
     
     
    E s war ein guter Tag, einer der ganz wenigen in den zwei Monaten, seit Cat die Fehlgeburt gehabt hatte – seit sein altes Leben geendet hatte, wie er sich manchmal sagte, ohne zu überlegen, daß er damit möglicherweise das Schicksal herausforderte. Daß er in der Nacht gut geschlafen und ein einziges Mal nicht schlecht geträumt hatte, verlieh seinem Herzen und seinem Schritt eine Beschwingtheit wie schon seit längerem nicht mehr. (Er hatte in letzter Zeit häufig denselben unheimlichen, bedrückenden Albtraum gehabt, daß er in einem Raum voller Nebel oder Rauch eingesperrt war und durch ein dickes Fenster auf die unerreichbare Welt hinausblickte.) Heute jedoch schienen sich die schlechten Träume im Sonnenschein verflüchtigt zu haben. Während er durch die Eingangshalle eines Hochhauses ging, einen Blumenstrauß in der Hand, der ganz offensichtlich per Telefon zusammengestellt worden war, aber zum Ausgleich dafür in einer teuren Vase steckte, sang er sogar einen alten Smokey-Robinson-Song vor sich hin. Eine hübsche junge Empfangsdame (zu jung, um ihn über den Augenblick hinaus zu interessieren, doch das machte es irgendwie noch befriedigender) meinte zu ihm, er habe eine schöne Stimme.
    »Danke«, sagte er. »Ich bin Sänger. Im zweiten Beruf.«
    Sie erkundigte sich nicht weiter, aber das machte nichts. Die Erinnerung daran, daß sein Leben nicht nur aus seinem Lieferantenjob bestand, war genug. Die Band hatte seit mindestens drei Wochen nicht mehr geübt, weil es irgendwelchen Knatsch gab, der aber ausnahmsweise nichts mit ihm zu tun hatte, sondern eine längere Fehde zwischen Kris und Morgan war. Trotzdem war er immer noch ein Sänger. Er konnte seine Gitarre nehmen, sich an eine Straßenecke stellen und damit fast soviel verdienen, wie wenn er Topfpflanzen in höhere Etagen schleppte, um überarbeitete Sekretärinnen und in Ruhestand gehende Buchhalterinnen zu beglücken. Wobei fast soviel wie »sehr wenig« natürlich »so gut wie nichts« bedeutete, so daß er fürs erste doch lieber den Lieferwagen weiterfuhr, besten Dank.
    Wie die Falsett gesungene Strophe von »I Second That Emotion« und das Lächeln der Empfangsdame ihm in Erinnerung gerufen hatten, war er mehr als bloß ein alternder Berufsjugendlicher mit halblangen Haaren und einem Aufnäher an der Hemdbrust, auf dem Blumendienst Khasigian stand. Doch das Problem war, wenn sein altes Leben wirklich in jener Nacht geendet hatte, wo blieb dann das neue? Von der Freundin vor die Tür gesetzt zu werden war gut und schön, denn bei allem Unglück konnte so eine erzwungene Veränderung auch etwas Befreiendes haben. Aber nicht, wenn man wieder bei seiner Mutter einziehen mußte.
    Es war natürlich nur für wenige Monate, nur bis er sich über kurz oder lang ein bißchen Geld für eine anständige Wohnung gespart hatte. Er hätte bei Johnny Battistini einziehen können, der ihm das angeboten hatte, doch obwohl er den Mann wie einen Bruder liebte, fand er den Gedanken, noch einmal mit ihm zusammenzuleben, unzumutbar. Theo war wirklich nicht pingelig, wie Catherine oft genug klargestellt hatte, aber man mußte kein Ordnungsfanatiker sein, um sich unwohl zu fühlen, wenn sechs Monate altes Fast food unter der Couch versteinerte. Er hatte einmal gemeinsam mit Johnny eine Wohnung gehabt, Jahre bevor er Cat kennenlernte, und die Erinnerung daran, wie er im Dunkeln auf Wanzen getreten war, hatte er immer noch nicht ganz überwunden.
    Hinzu kam, daß seine Mutter
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