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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg
Autoren: Tad Williams
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keinerlei Druck auf ihn ausübte, sich mit ihr zu unterhalten oder sich überhaupt nennenswert mit ihr abzugeben. Er hatte einen eigenen Schlüssel. Wenn er zum Abendessen zu Hause war, was selten vorkam, machte sie ihm dieselben Reste warm, die sie auch aß, oder schob für ihn eine Tiefkühlmahlzeit in die Mikrowelle. Wenn er ein anderes Programm gucken wollte als sie, schien ihr das nichts auszumachen; sie reichte ihm wortlos die Fernbedienung, nahm sich ein Buch und ging zu Bett. Sie hinterließ keine Unordnung, sie hörte keine laute Musik, sie nötigte ihn nicht zu langen, langweiligen Gesprächen; als männlicher Wohngemeinschaftsgenosse wäre sie nachgerade ideal gewesen. Als Mutter jedoch war sie ein wenig gruselig.
    Als er Cat am Anfang der Beziehung begreiflich machen wollte, was sie für ein Mensch war, hatte er halb scherzhaft erklärt »Mamas Lebensflamme brennt nicht allzu hell.« Doch so schwach sie gewesen war, hatte sie damals immer noch heller gebrannt als heute. Es wunderte ihn, wie wenig sie sich für irgend etwas zu interessieren schien. War das so etwas wie eine verspätete Reaktion auf den Tod seines Vaters vor fast sechs Jahren? Oder war es Theo, der sich verändert hatte? Hatte er sich im Zusammenleben mit Cat mehr an die Art gewöhnt, wie sich normale Leute verhielten? Er hatte keine Ahnung. Aus Anna Vilmos war schwer schlau zu werden.
    Sie war zu allen seinen Auftritten in der Schule gekommen, erinnerte er sich. Wenn ich im Musical die Hauptrolle gesungen habe, war sie jeden Abend da, also muß es ihr wichtig gewesen sein. Aber sie hat nie viel dazu gesagt. »Sehr schön, Theo, gutgemacht. Es hat mir gefallen.« Das war so ziemlich alles, ungefähr als ob sie ein Stück Corned Beef vom Metzger beurteilte. Und sein Vater war meistens zu müde gewesen, um mehr zu sagen, als daß das betreffende Stück oder Konzert »ganz gut« gewesen war, wobei er sich die ganze Zeit deutlich anmerken ließ, daß er im Grunde genommen nur nach Hause ins Bett wollte, weil er am nächsten Morgen früh aufstehen mußte. Siehst du, Cat? Wie soll man zu einem normalen Erwachsenen werden, wenn man höfliche Fremde als Vorbilder hat?
    Aber während er heute den Lieferwagen fuhr, konnte nicht einmal die Schande, wieder bei seiner Mutter zu wohnen, sein Gefühl trüben, daß eine Veränderung im Anzug war, daß eine Art Latenzzeit vorbei war. Es hatte ihn überrascht, wie sehr der doppelte Schlag, Catherine und das Kind zu verlieren, ihn getroffen hatte. Es waren nicht bloß die unheimlichen Albträume gewesen: Wochenlang war er vor Rührung in Tränen ausgebrochen, wenn im Autoradio alte Lieder kamen, Lieder, die er eigentlich nie besonders gemocht hatte. Balladen von verlorener Liebe, Fünfziger-Jahre-Schmachtfetzen über tragische Autounfälle und gräßliche, süßliche Schnulzen über tote Freundinnen und Kinder, selbst Sachen, die äußerlich mit seinem aus der Bahn geworfenen Leben nichts zu tun hatten, konnten ihm einen Stich ins Herz versetzen wie eine spitze Nadel. Einmal zwang ihn ein alter Schlager aus den Siebzigern, der von einem ertrinkenden Schäferhund handelte (soweit er das sagen konnte, denn er hatte nie sehr auf den Text geachtet), rechts ranzufahren, weil er vor lauter Heulen nichts mehr sehen konnte. Aber heute nicht. Der Frühling hatte zwar schon vor einem Monat Einzug gehalten, doch erst jetzt hatte er richtig Frühlingsgefühle, und ihm war, als ob auch er voll Saft wäre, den die Sonne erwärmte, als ob auch er bald ausschlagen wollte.
    Na ja, ausschlagen muß vielleicht nicht gleich sein, dachte er, als er den Lieferwagen in die Lücke hinter dem Laden manövrierte. Aber ich könnte mit Johnny ein paar Bierchen zischen und ein bißchen Live-Musik hören gehen. Eine irische Band, von der er gehört hatte, spielte in einer Kneipe im Mission District. Er überlegte, ob er seine Mutter dazu einladen sollte – sie war schließlich irischer Abstammung, und sie hatte eigenartigerweise eine gewisse Schwäche für Johnny B., jedenfalls für ihre Verhältnisse. Und Johnny seinerseits flirtete gern mit ihr. Einmal hatte er sogar gesagt »Deine Mutter muß in ihrer Jugend ein richtig steiler Zahn gewesen sein.« Theo hatte es damals ein bißchen gegruselt, jetzt aber stellte er fest, daß ihm der Gedanke gefiel, mit ihr und Johnny zusammen auszugehen. Tat ihr vielleicht gut, und er hatte nicht mehr solche Gewissensbisse, daß er ihr Haus als Absteige benutzte, als ob er ein Fremder auf Durchreise
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