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Der blinde Passagier

Der blinde Passagier

Titel: Der blinde Passagier
Autoren: Alfred Weidenmann
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dafür, daß ihrem Jungen daraus kein Nachteil erwuchs. Er sollte genausoviel bekommen und besitzen wie die übrigen Untertertianer in der Eberhard-Ludwig-Schule. Das war nicht immer einfach. Jeden Monat mußte eine ganze Latte bezahlt werden: Miete, Heizung, Gas, Kleidung, Bücher für die Schule und viele andere Kleinigkeiten.
    Die Arbeit der Putzfrauen auf dem Flugplatz war anstrengend. Einerseits verlangten die Fluggesellschaften, daß ihre Maschinen an allen Ecken blitzten wie aus dem Ei gepellt. Andererseits blieb oft nur eine knappe halbe Stunde Zeit, und dann kam schon wieder eine neue Ladung Passagiere an Bord. Das geschah bei jedem Wetter und auch dann, wenn die Düsen startender oder ankommender Maschinen wie Flammenwerfer über die Pisten fegten.
    Aber die Bezahlung war gut, und wer sich dazu noch bereit erklärte, gelegentlich Überstunden zu machen, konnte hier viel mehr verdienen als anderswo. Und Frau Schimmelpfennig machte im Laufe der Woche eine ganze Menge Überstunden.
    Das alles wußte Peter natürlich. Er sagte auch immer wieder einmal: „Gustchen, das ist doch Unsinn.“ Frau Schimmelpfennig hieß nämlich Auguste mit Vornamen. „Du arbeitest zu viel. Eines Tages haben wir die Bescherung, und du liegst auf der Nase!“ Aber genausogut hätte er auch auf ein Bügelbrett einreden können.
    Das einzig Sinnvolle war, daß er auch versuchte, so nebenher ein wenig Geld zu verdienen. Und dann eben auch noch, daß er ihr so oft wie möglich irgendeine Freude machte.
    Wie zum Beispiel heute und jetzt.
    Dicht bei der Piste 05 stand eine zweimotorige Convair auf dem Vorfeld, und neben der Piste 34 parkte ein Boeing-Jet der Lufthansa. Da bei der zweimotorigen Maschine bereits das Passagiergepäck eingeladen wurde, war anzunehmen, daß die Putzfrauen schon von Bord waren. Peter Schimmelpfennig ging also auf Piste 34 zu.
    Frau Schimmelpfennig saugte in der Boeing gerade den Mittelgang in der Höhe der Tragflächen, als Peter seinen Kopf durch die Tür steckte und versuchte, sich bemerkbar zu machen.
    Aber Frau Schimmelpfennig hatte ihn nicht gesehen, weil sie mit dem Rücken zu ihm stand. Und gehört hatte sie ihn auch nicht. Auf einer der Pisten startete gerade eine Super Constellation. Erst als die glücklich in der Luft war, merkte Frau Schimmelpfennig, daß irgend jemand etwas von ihr wollte. Sie drehte sich um.
    „Oje, ist dir dein Taschengeld ausgegangen?“ war das erste, was Frau Schimmelpfennig wissen wollte. Aber sie lachte dabei. „Oder wo beißt dich der Affe sonst, daß du um diese Zeit hier rauskommst?“ Sie war eine breite Person und machte gleich auf Anhieb den Eindruck, daß sie eigentlich meistens guter Laune war. Sie hatte im Augenblick ihre Haare in einem Tuch mit farbigem Blumenmuster zusammengebunden. Wenn fünf Frauen gleichzeitig saubermachen, wirbelt der Staub nur so durch die Gegend.
    „Ich dachte, daß Sie vielleicht einmal Lust auf ein warmes Mittagessen hätten, Frau Schimmelpfennig?“ Peter hielt seine Tasche mit Bratwürsten, Reis und Leipziger Allerlei in die Luft.
    „Nicht schlecht, Herr Specht“, meinte Frau Schimmelpfennig vergnügt, „in fünf Minuten sind wir soweit.“
    Peter sagte „okay“ und war entschlossen, sich inzwischen etwas näher umzusehen. Er wäre ganz gerne ins Cockpit marschiert. Aber da saß schon der Kopilot und war dabei, mit dem Bordmechaniker die ersten Kontrollen durchzuführen. Das ist vor jedem Flug Vorschrift.
    Peter kannte sich auf dem Flugplatz und mit den Flugzeugtypen so gut aus wie in seiner Hosentasche. Er wußte, wie es im Laderaum einer Maschine aussah, und im Cockpit wußte er, was ein Kurskreisel ist, ein Variometer, ein Höhenmesser oder ein Wendezeiger.
    Peter schlenderte schon voraus in die Richtung zum Personalblock. Die Putzfrauen hatten ja ihre eigenen VW-Busse, mit denen sie immer von einem Flugzeug zum anderen gebracht wurden. Und in der Mittagspause natürlich zur Kantine.
    Über dem Kontrollturm der Luftaufsicht drehte sich langsam das große Radargerät. Schneepflüge krochen über den Beton der Start- und Landebahnen.
    Peter war stehengeblieben, um dem Start einer Maschine der Air France zuzusehen. Es war eine Caravelle, und beinahe im gleichen Augenblick, als sie sich vom Boden abgehoben hatte, stieg sie auch schon steil nach oben. Es dauerte nur eine knappe Minute, bis sie in den Schneewolken verschwunden war.
    Gepäckwagen rollten über das Gelände, Omnibusse mit Fluggästen fuhren vorbei und die knallgelben
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