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Der blinde Passagier

Der blinde Passagier

Titel: Der blinde Passagier
Autoren: Alfred Weidenmann
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sich Peter Schimmelpfennig vernehmen. „Viele Dinge in der westlichen Welt begreifen Sie leider und offenbar immer noch nicht!“ Er drehte die zwei Bratwürste, die in der Pfanne schmorten, auf ihre andere Seite. „So mag es Ihnen zum Beispiel schwer verständlich sein, daß hierzulande ein gut erzogener Sohn auf die Idee kommt, seiner Mutter eine kleine Freude zu machen.“
    „Du fährst zum Flugplatz!“ stellte Suwanna Sang Ping fest. „Habe ich richtig?“ Manchmal war die deutsche Sprache für ihn doch noch ein Stück Glatteis, auf dem er ausrutschte.
    „Ja, Sie haben richtig!“ Peter lachte. Er nahm jetzt den Reis vom Herd und schüttete das Wasser ab.
    „Dann ich begleite dich bis zur Ecke.“ Sang Ping spurtete in sein Zimmer.
    „Aber dalli“, mahnte Peter. „Ich kann keine Minute auf dich warten.“ Jetzt kamen Leipziger Allerlei, Reis und Bratwürste in eine Schüssel. Peter stülpte einen Teller darüber und packte das Ganze zuerst in die gestrige Ausgabe der Abendzeitung und dann in zwei blütenweiße Frotteehandtücher. Das war so gut wie die beste Thermosflasche.
    Sang Ping hatte inzwischen die Musik in seinem Kofferradio abgedreht und wartete bereits im Mantel und mit hochgeschlagenem Kragen. Winter und Schnee waren Dinge, an die er sich noch nicht gewöhnt hatte.
    „Let’s go!“ rief Peter. Dabei nahm er die Schimmelpfennigsche Einkaufstasche in den Arm wie ein neugeborenes Baby.
    In den Straßen brannten schon die ersten Lichter, obgleich es noch mitten am Tag war. Aber die Schneewolken hingen jetzt so tief, daß man meinen konnte, sie wollten sich im nächsten Augenblick wie eine Bettdecke über die Dächer legen.
    Das chinesische Speiselokal „Hongkong“ lag an der Ecke der Hartungstraße zu ebener Erde. Es gehörte einem gewissen Herrn Chang. Und Herr Chang war etwa fünfzig Jahre alt, wurde nie müde, freundlich zu lächeln, und war im Vergleich zu einem ausgewachsenen Mann eigentlich nur eine halbe Portion.
    Herr Chang war gerade dabei, den Gehsteig vor seinem Etablissement vom Schnee zu befreien. Er hatte sich für diesen Zweck seinen Hut tief in die Stirn gezogen und einen dicken Wollschal um den Hals gebunden.
    „Guten Tag, Herr Chang“, grüßte Peter Schimmelpfennig höflich.
    Beinahe gleichzeitig sprudelte Suwanna Sang Ping, von Lachen unterbrochen, ein paar Sätze heraus, die nur aus Kehllauten bestanden und einer Menge A und I. Dabei nahm er Herrn Chang die Schneeschippe ab.
    Im ersten Augenblick hatte Herr Chang diese Schneeschippe noch verteidigt und so getan, als wollte er protestieren. Aber in Wirklichkeit war er natürlich froh, daß ihn jemand von dieser Arbeit erlöste. Er legte jetzt Peter seine Hand auf die Schulter. „Wie geht es, meine Darlink?“ Herr Chang redete gewöhnlich Englisch und Deutsch durcheinander und dabei jede der beiden Sprachen so schlecht und falsch wie die andere, obgleich er Peking bereits vor fünfundzwanzig Jahren zum letzten Mal gesehen hatte und seitdem in Europa lebte.
    „Danke, Herr Chang, es geht mir gut.“
    „Und deine Mutter geht auch gut?“
    „Ja, sie geht auch gut“, versicherte Peter Schimmelpfennig. „Aber im Augenblick bin ich leider sehr in Eile.“
    „Alle Leute immer Eile“, bedauerte Herr Chang.
    „Leider“, meinte Peter und sah zu, daß er so schnell wie möglich zum nächsten U-Bahnhof kam.
    Die Fahrt nach Fuhlsbüttel dauerte etwa 8 Minuten. Von dort zum Flugplatz waren es noch fünfhundert Meter. Peter Schimmelpfennig marschierte durch das Tor bei der Frachtabteilung. „Schönen Tag, Herr Liebske!“ Der Portier grüßte zurück und rief: „Bei der fünf oder bei vierunddreißig!“ Er wußte, daß Peter zu seiner Mutter wollte, und Peter wußte, was die Zahlen zu bedeuten hatten.
    Peter Schimmelpfennig war nämlich auf dem Fluggelände bekannt wie ein bunter Hund.
    Frau Schimmelpfennig arbeitete hier im sogenannten „Staubsaugergeschwader“. Mit dieser Bezeichnung waren die Putzfrauen gemeint, die sich jeweils in einer Gruppe von vier oder fünf über die Flugzeuge hermachten, sobald der letzte Passagier ausgestiegen war. Sie mußten Fußböden und Sitze absaugen, nachsehen, ob die Gepäcknetze leer waren, die Toiletten reinigen und ausgelesene Zeitungen von Bord schaffen. Kurzum, sie mußten alles wieder in Ordnung bringen, was die Fluggäste in den Kabinen zwischen Zürich oder Paris und Hamburg in Unordnung gebracht hatten.
    Peter Schimmelpfennig hatte keinen Vater mehr. Aber seine Mutter sorgte
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