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Der blinde Passagier

Der blinde Passagier

Titel: Der blinde Passagier
Autoren: Alfred Weidenmann
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namens
Sang Ping und das Staubsaugergeschwader

    Es war inzwischen kurz vor Mittag, und die Untergrundbahn hatte Hochbetrieb.
    Peter Schimmelpfennig stand eingeklemmt neben einem älteren Mann mit einem Christbaum, der so zusammengeschnürt war, daß man glauben konnte, er habe gerade eine Abmagerungskur hinter sich. Einer rundlichen Dame lief der geschmolzene Schnee tropfenweise vom Hut über die Nase. Aber sie konnte nichts dagegen tun, weil ihre Arme und Hände mit lauter Päckchen und Paketen behängt waren. Peter wäre ihr ja liebend gern mit seinem Taschentuch behilflich gewesen. Aber erstens war er nicht sicher, ob er überhaupt ein Taschentuch bei sich hatte, und zweitens kann man ja nicht jeder wildfremden Dame so ohne weiteres die Nase abwischen.
    Am Dammtorbahnhof stieg Peter aus, trabte durch den Tunnel und stieg dann wieder zur Straße hinauf.
    Die Autos glitten beinahe lautlos über den Schnee. Nur die Straßenbahnen quietschten auf ihren Schienen wie immer.
    Fast alle Schaufenster hatten zwischen ihren Waren goldene oder silberne Sterne aufgebaut, Kerzen in bunten Farben und kleine Tannenbäume. Die Ladenbesitzer waren fest entschlossen, mit Weihnachten in diesem Jahr ein Rekordgeschäft zu machen. Sogar Fleischermeister Wagenknecht hatte zwischen seinen Rollschinken und Kalbshaxen einen Weihnachtsengel aus Schweineschmalz aufgestellt.
    Die Schimmelpfennigs wohnten in der Steinfeldstraße 84 im vierten Stock.
    Als Peter die Tür aufschloß, hörte er von drinnen Musik. Das bedeutete, daß der Untermieter, Herr Sang Ping, zu Hause war.
    „Hallo, Suwanna!“ rief Peter und schüttelte die Nässe von seinem Mantel.
    „Hallo, Boß”, antwortete eine Stimme aus dem Bad. „Ich bin gleich soweit.“
    Peter brachte zuerst die Schulmappe in sein Zimmer, das am Ende des Korridors lag und ziemlich klein war. Es hatte ein schmales, hohes Fenster zum Hinterhof, mit dem Blick auf eine Menge Dächer und Kamine. Peter liebte diesen Blick. Im übrigen hatte er sich das Fenster so eingerichtet, daß es auch am hellichten Tage mit zwei, drei Handgriffen vollkommen verdunkelt werden konnte. Peter Schimmelpfennig fotografierte nämlich für sein Leben gern. Dazu gehörte natürlich, daß er eine eigene Dunkelkammer hatte und seine Filme selbst entwickelte und kopierte. Überall standen deshalb Chemikalien, gläserne Schalen, Dosen und Schachteln und Fotopapier herum. Quer durch den Raum war eine Schnur gespannt. An ihr wurden nach Bedarf die Filme und Abzüge wie nasse Wäsche aufgehängt.
    Auf dem Tisch in der Küche lag ein Zettel mit der Schrift von Frau Schimmelpfennig: „Reis und Gemüse auf dem Herd. Bratwürste im Eisschrank. Guten Appetit!“
    Peter brauchte nur noch das Gas aufzudrehen und die Streichhölzer zu benutzen, die auch schon bereitgelegt waren. Sogar Fett war schon in der Bratpfanne.
    Peter Schimmelpfennig guckte auf seine Uhr und rechnete nach. Wenn er sich beeilte und wenn es mit den Anschlüssen der U-Bahn klappte, schaffte er es noch.
    Der Untermieter der Familie Schimmelpfennig hieß, wenn man seinen Namen in voller Länge gebrauchte: Suwanna Sang Ping. Und so sah er auch aus. Er wohnte jetzt schon seit einem knappen Jahr im vierten Stock der Steinfeldstraße 84 und studierte an der Universität. Da er kein Sohn von Rockefeller war, mußte er sich sein Studium zum Teil selbst verdienen. Den Rest bezahlte eine Stiftung oder dergleichen.
    Herr Sang Ping arbeitete also in dem chinesischen Speiserestaurant „Hongkong“ an der Ecke der Hartungstraße. Dabei traf es sich gut, daß das „Hongkong“ einerseits nur Kellner beschäftigte, die Asiaten waren, und andererseits nur abends geöffnet hatte. Allerdings wurde es dann oft sehr spät.
    Als Herr Sang Ping jetzt frisch rasiert und noch in der Schlafanzughose aus dem Bad kam, roch es in der Küche bereits nach Leipziger Allerlei und angebratenem Fett.
    „Wie ging’s mit der Klassenarbeit?“ wollte der junge Herr aus dem Fernen Osten wissen. Er sprach beinahe fehlerfrei Deutsch.
    „So lala“, meinte Peter, der gerade dabei war, Teller und Besteck in der Schimmelpfennigschen Einkaufstasche zu verstauen.
    „Du willst zum Mittagessen heute ins Grüne?“ Sang Ping steckte sich eine Zigarette in den Mund und grinste. Seine Zähne hätten für jede Zahnpasta Reklame machen können. Im übrigen war sein Oberkörper genauso dunkel wie sein Gesicht. Ein Braun wie bei hellen Zigarren oder Kamelhaardecken.
    „Sehr geehrter Herr Sang Ping“, ließ
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