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Der blinde Passagier

Der blinde Passagier

Titel: Der blinde Passagier
Autoren: Alfred Weidenmann
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Trainerstunde dauerte aber keine ganze Stunde, sondern nur fünfundvierzig Minuten.
    „Die besten Balljungen sind die, die man gar nicht bemerkt“, hatte Herr Pohmann gesagt, als Peter bei ihm anfing. „Eigentlich mußt du es schon vorher riechen, wenn ein Ball ins Aus geht. Ich will gar nicht sehen, wie du ihn holst. Aber wenn ich ihn brauche, muß er wieder da sein. Das ist alles.“
    Heute spielte Herr Pohmann in der ersten Stunde mit einem Schauspieler, der manchmal im Fernsehen auftrat.
    „Gut, Herr Hoffmann“, rief der Trainer. „Sehr gut.“
    Herr Pohmann wußte natürlich, daß seine Schüler gerne gelobt wurden, und tat ihnen den Gefallen. Manchmal schlug er sogar mit Absicht einen Ball ins Netz oder tat so, als habe er einen Schlag mit dem besten Willen nicht mehr erreichen können. Dann konnte er sogar seinen Schläger unter den Arm nehmen und kurz applaudieren, wie im Theater. „Gratuliere“, rief er anerkennend, und sein Gegner fühlte sich wie ein Gewinner im Davis-Cup.
    Aber Herr Hoffmann spielte wirklich nicht schlecht. Peter konnte das am besten beurteilen. Bei guten Spielern war er nämlich fast arbeitslos.
    Als später Frau Pfister aufkreuzte, änderte sich das schlag-artig. Frau Pfister war die Frau eines Blusenfabrikanten und kam aus dem Rheinland. Sie war mollig und, wie man so sagt, von sonniger Gemütsart. Sie spielte schon ein paar Jahre lang Tennis. Aber davon war nichts zu merken. Sie schlug jeden zweiten Ball entweder ins Netz oder weit hinter die Linien. Manchmal knallte sie ihn auch an die Decke oder gegen die Zeltwand. Dann lachte sie fröhlich, so, als ob ihr ein ganz besonders hübscher Spaß gelungen wäre.
    Die Stunde mit Frau Pfister war für Peter Schimmelpfennig Schwerarbeit. Er schwitzte am Ende der Stunde genauso wie die Frau des Blusenfabrikanten. Aber sie wußte das zu schätzen und honorierte den Balljungen jedesmal mit einem Zweimarkstück.
    Als sie gegangen war, schüttelte Herr Pohmann den Kopf: „Sie lernt es nie. Aber ich kann sie nicht wegschicken. Ihr Mann sitzt im Clubvorstand.“
    Anschließend kam ein etwa vierzehnjähriges Mädchen in Begleitung seiner Mutter.
    Die beiden rollten jedesmal in einem großen schwarzen Mercedes mit Chauffeur auf den Parkplatz des Clubs. Das Mädchen hieß Manuela, und sein Vater hatte irgend etwas mit Öl und Kohle zu tun.
    Die Mutter von Manuela war eine weißhaarige Dame, wurde von Herrn Pohmann immer als „gnädige Frau“ begrüßt und saß während der ganzen Stunde auf der Bank, ohne einen Blick von ihrem Kind zu lassen. Manuela war schlank und langbeinig. Sie hatte ihr hellblondes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie spielte in der ersten Jugendmannschaft des Clubs und vermutlich war es ihr gar nicht so recht, daß ihre Mutter immer so auf sie aufpaßte, als sei sie aus Glas oder Porzellan.
    Nach zehn Minuten Vorhand übte Herr Pohmann mit dem Mädchen Rückhand und Netzbälle. Danach fingen die beiden an, einen Satz zu spielen. Manuela trug kurze weiße Tennisshorts wie ein Junge.
    Mancher Ball ging eine ganze Weile hin und her. So hatte Peter zwischendurch Zeit, sich seine Gedanken zu machen. Diese Gedanken hatten natürlich etwas mit Manuela und ihren schwerreichen Eltern zu tun. Sie würden noch vor Weihnachten auf eine ziemlich weite Reise gehen. Auf die Bermudas oder vielleicht auch nach Ceylon, hatte Manuelas Mutter vor Beginn der Stunde zu Herrn Pohmann gesagt. „Wir wollen dem Winter davonlaufen.“
    Frau Auguste Schimmelpfennig wußte vermutlich gar nicht, wo die Bermudas oder Ceylon lagen. Sie kannte nicht einmal die Nordsee oder die Zugspitze. Sie hatte nur einmal in ihrem Leben Urlaub gemacht. Das war gleich nach der Hochzeit gewesen, als sie mit ihrem Mann für acht Tage ins Fichtelgebirge gereist war.
    Die Stimme von Herrn Pohmann verhinderte, daß Peter seine Gedanken zu Ende dachte.
    „Danke für heute.“ Der Trainer gab Manuela die Hand und ging mit ihr zu der Bank hinüber. „Ich bin sehr zufrieden, gnädige Frau. Die Rückhand wird von Stunde zu Stunde besser. Nur der Aufschlag gefällt mir noch nicht.“
    Das Mädchen Manuela lachte und schaute dabei auch zu Peter herüber. „Danke fürs Sammeln“, sagte sie mit einer ganz hellen Stimme und warf ihren Pferdeschwanz in den Nacken.
    Das Leben ist unfair, überlegte Peter Schimmelpfennig. Drüben zog sich das Mädchen Manuela wieder den Mantel an, und ihre Mutter hielt solange den Tennisschläger. Manche Menschen haben zuviel Geld
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