Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der blinde Hellseher

Der blinde Hellseher

Titel: Der blinde Hellseher
Autoren: Stefan Wolf
Vom Netzwerk:
wollte sie
bestrafen. Sie sollten sehen, was sie angerichtet haben. Ich war die ganze Zeit
in dem Ferienhaus. Ja, es gehört uns nicht mehr. Aber ich habe ja immer noch
den Zweitschlüssel gehabt für die Hintertür. Die neuen Besitzer kommen doch
höchstens im Sommer hin. Mit dem Bus bin ich bis Stockhausen gefahren. Von dort
dann gelaufen.“
    „Wir verstehen, warum du das
gemacht hast“, sagte Tarzan. „Ich glaube, ich tät’s auch — wenn die Situation
so wäre. Aber was deine Eltern betrifft, da täuscht du dich. Die haben das nie
böse gemeint. Nur falsch angefaßt haben sie’s. Sicherlich dachten sie, dir
fehlt nichts und es ginge dir prima. Und wenn dein Vater sich so um
geschäftliche Erfolge bemüht, dann tut er das ja in erster Linie für deine
Mutter und dich.“
    Volker zerrte an seinen
Fingern. „Mag sein. Aber es ist falsch.“
    „Für deine Eltern wird das
heute der schönste Tag ihres Lebens. Weil du zurückkommst.“
    „O Gott! Hoffentlich! Wißt ihr
— bis gestern abend noch... habe ich alles so durchgezogen, wie es ausgedacht
war. Ich... wollte wissen, ob ich meinen Eltern 100 000 Mark wert bin. Hier
wollte ich sitzen und beobachten. Wollte sehen, ob mein Vater kommt, ob er das
Geld in die Tonne legt... Dann... dann... Ich weiß nicht, ob ich gleich
rausgekommen wäre. Aber...“
    „Ja?“ fragte Tarzan, da Volker
nicht weitersprach.
    „Aber heute nacht ist mir
klargeworden, daß ich mich wirklich wie ein Verbrecher benehme. Daß ich zu weit
gegangen bin. Daß alles Mist ist. Daß ich spinne. Seitdem... Ich konnte einfach
nicht anders. Ich habe stundenlang geheult.“
    „Kannst du vergessen, Volker. Wie
alles andere auch. Und...“ Tarzan wandte den Kopf und lauschte zur Straße hin.
    „Da kommt ein Wagen“, sagte
Klößchen.
    „Hört sich an wie der Mercedes
meines Vaters.“ Volkers Stimme zitterte.
    „Es ist punkt zwölf“, meinte
Karl. „Gleich fliegen 100 000 Mark in die Mülltonne.“
    Sie sahen, wie der schwere
Mercedes auf den Rastplatz rollte und hielt. Herr Krause stieg aus. Offenbar
wurde er von der Sonne geblendet. Jedenfalls hatte er die drei noch nicht
bemerkt. Der große, kräftige Mann bewegte sich langsam, als fehle ihm jegliche
Kraft. Mit einer dunklen Aktentasche ging er zur Mülltonne. Im selben Moment
sah er die Jungs.
    Volker war aufgesprungen. Jetzt
gab es kein Halten mehr. Er wurde immer schneller, rannte über den stoppeligen
Boden zum Rastplatz. Sein Vater ließ die Aktentasche fallen. Mit ausgebreiteten
Armen kam er ihm entgegen. Dann hielt er seinen Sohn fest; und es sah aus, als
würde er ihn nie wieder loslassen.

    „Mann o Mann!“ sagte Klößchen
mit belegter Stimme. „So habe ich’s mir nicht vorgestellt. Jedenfalls — keiner
von uns hat die Wette gewonnen.“
    „Ich bin noch ganz steif vom
Stillsitzen’’, meinte Karl.
    „Ob unsere Räder in den
Kofferraum passen?“ überlegte Klößchen. „Dann könnten wir mit Herrn Krause
zurückfahren.“
    „Kommt ja gar nicht in die
Tüte“, sagte Tarzan bestimmt. „Volker und sein Vater fahren allein. Kannst dir
doch denken, daß die jetzt ‘ne Menge miteinander zu reden haben. Da würden wir
nur stören. Nein, wir radeln.“
    Aber diesmal täuschte sich
Tarzan.
    Nachdem sie eine Weile
unschlüssig herumgestanden und dann ihre Sachen aus dem Bunker geholt hatten,
kam ihnen Herr Krause entgegen.
    Er war wie verwandelt, wieder
straff und aufrecht wie eh und je. Seine Augen leuchteten, schimmerten
allerdings verdächtig feucht.
    Wortlos drückte er den drei
Jungs fest die Hand. Dann räusperte er sich ein paar Mal.
    „Ich danke euch. Volker hat mir
gesagt, weshalb ihr hier seid. Ihr habt ganz schön was riskiert. Wie es wirklich
ist, konntet ihr ja nicht wissen. Volker hat mir alles erzählt.“
    Wieder räusperte er sich, ehe
er fortfuhr: „Ich bin... sehr beschämt. Und traurig über mich. Weil ich von
alledem, was in Volker vorging, nichts gemerkt habe. Wir Eltern machen eben auch
sehr oft Fehler. Seid ihr mit den Rädern hier? Die legen wir in den Kofferraum.
Dann fahren wir alle zu uns.“
    Man konnte hören, wie Klößchen
aufatmete. Grinsend ulkte er: „Lieber gut gefahren als schlecht gestrampelt.
Denn was nutzt es einem Fußkranken, wenn er auch noch Bauchschmerzen hat. Und
ein Rest Schokolade ist auch noch da, hurra!“
    Volker, der sich schon in den
Wagen gesetzt hatte, half ihnen, die Räder zu verstauen. Dann ging’s heimwärts:
und es wurde die lustigste Fahrt, an die Herr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher