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Der blinde Hellseher

Der blinde Hellseher

Titel: Der blinde Hellseher
Autoren: Stefan Wolf
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Volkers Bilder seit zwei Wochen zum Abholen
bereitlagen, war Zufall.
    „Du, die haben noch auf“, sagte
Tarzan erstaunt.
    „Tatsächlich. Naja, manche
machen eben ihre eigenen Öffnungszeiten.“
    Es war ein kleines
Foto-Geschäft in einer Nebenstraße. Im Schaufenster wurden preisgünstige
Foto-Apparate, Schmalfilm-Kameras und Dia-Projektoren angeboten.
    „Und was sagst du dazu?“ meinte
Tarzan und zog den Foto-Bon aus seinem Portemonnaie. „Wußte selbst nicht genau,
ob ich den mithabe.“
    Sie stellten ihre Räder an den
Bordstein und betraten das Geschäft. Bedient wurden sie von einer freundlichen
Frau im weißen Kittel. Sie suchte den Umschlag mit den Fotos heraus. Sie
kosteten über zwölf Mark, aber Klößchen hatte genug Geld bei sich. Daß er es
erstmal auslegte, war Ehrensache.
    Draußen sahen sie sich die
Farbfotos an.
    Volker hatte kreuz und quer auf
der Klassen-Party herumgeknipst. Einige sahen zu komisch aus. Sehr gut
getroffen war Dr. Meinert. Das Foto zeigte ihn, als er ein Glas Cola auf der
Stirn balancierte und dabei eine Kniebeuge machte. Es war ihm auch tatsächlich
geglückt. Erst beim Trinken hatte er sich verschluckt und einen Hustenanfall
gekriegt, der ihm die Tränen in die Augen trieb.
    „Was ist denn das?“ fragte Tarzan
und hielt das nächste Bild hoch.
    Es zeigte nichts von der
Klassen-Party. Aufgenommen war es im Freien und offenbar aus erheblicher
Entfernung. Auch die Belichtung stimmte nicht. Das Bild wirkte ziemlich dunkel.
    Volker hatte einen Parkplatz
fotografiert — irgendwo zwischen den Häusern der Innenstadt. Etwa ein Dutzend
Wagen stand dort. Einer war ein cremefarbener Mercedes. Er war ziemlich weit
hinten geparkt. Zwei Jungen machten sich daran zu schaffen — jedenfalls sah es
so aus. Der eine, der mit dem Rücken zur Kamera stand, hielt einen Stein in der
Faust. Es wirkte als wollte er die Scheibe an der Fahrertür einschlagen. Der
zweite Junge wartete daneben, hatte die Schultern hochgezogen und ein so
schlechtes Gewissen, daß man’s seiner Haltung ansah.
    „Mann!“ sagte Klößchen. „Da ist
Volker aber ein Schnappschuß gelungen. Die stellen doch offensichtlich was an.“
    „Kennst du den?“ Tarzan tippte
auf den Jungen, der die Schultern hochzog.
    „Nee. Nie gesehen, glaube ich.
Und von dem andern erkennt man ja nichts.“
    Der andere trug Jeans und eine
dunkle Tuchjacke mit Strickkragen. Irgendwas an der plumpen Gestalt kam Tarzan
bekannt vor.
    „Moment! Da ist noch ein Foto.
Da...“
    Beide starrten darauf, und die
Spucke blieb ihnen weg.
    Was auf dem Foto geschah, ließ
keinen Zweifel mehr zu. Die Tür des Mercedes stand offen. Der Junge mit den
hochgezogenen Schultern beugte sich hinein. Kopf und Oberkörper waren nicht
mehr zu sehen.
    Der andere paßte auf, stand
Schmiere. Seine plumpe Gestalt hatte er zur Seite gewandt. Er blickte zwar
nicht direkt in die Kamera, aber doch ungefähr in die Richtung. Deutlich konnte
man sein Gesicht erkennen.
    „Das... Nein!“ sagte Klößchen.
„Ist nicht wahr! Ich träume. Er ist zwar ein Mistkerl. Aber Autoknacken...
Sowas macht er trotzdem nicht.“
    „Und ob er das macht! Du siehst
es ja. Ein klarer Beweis.“
    Der Junge war — ihr
Klassenkamerad Heinz Bosselt. Der unbeliebte Typ, der Gaby mit der Nähnadel
gestochen hatte.
    „Au weh!“ Klößchen kratzte sich
am Kopf. „Jetzt ist er also kriminell. Und Volker hat’s beobachtet. Zufällig,
wahrscheinlich. Wahrscheinlich hat er sich hinter einem anderen Wagen versteckt
und die Bilder gemacht. Ob Bosselt das weiß?“
    „So wie’s hier aussieht, haben
ihn die beiden nicht bemerkt. Aber...“ Tarzan stockte.
    „Ja, was meinst du?“
    „Denk’ mal dran, wie Volker
ist. Manchmal spielt er den Geheimnisvollen. Mit hintergründigem Grinsen. Und
Andeutungen, bei denen man sich das meiste zusammenreimen muß. Volker traue ich
zu, daß er Katz und Maus mit Bosselt gespielt hat. Wobei Bosselt am Anfang die
Maus war.“
    „Wieso nur am Anfang?“
    Tarzan biß die Zähne
aufeinander, daß seine Kaumuskeln hervortraten. Sekundenlang überlegte er noch.
    „Ja, Willi, so kann’s gewesen
sein. Und das wäre... Stell’ dir vor: Volker sagt Bosselt auf den Kopf zu, daß
er ihn beobachtet hat und über Beweise verfügt. Was tut Bosselt?“
    „Er versucht, die Beweise zu
kriegen.“
    „Genau. Und wie?“
    „Ja, wie denn?“
    „Indem er und dieser andere Typ
Volker kidnappen. Wenn sie ihn in ihrer Gewalt haben, ist er machtlos, muß sich
fügen. Vielleicht
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