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Der Blaumilchkanal

Titel: Der Blaumilchkanal
Autoren: Ephraim Kishon
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ausgebreiteten Händen vorwurfsvoll, »denken Sie doch einen Augenblick an unser Land!«
    »Der größte Nutzen für unseren Staat ist Amitz Dulnikkers schnelle Genesung.«
    Dieses Argument berührte eine empfängliche Saite in der Seele des erschöpften Staatsmannes. Dulnikker beherrschte sich, setzte sich steil im Bett auf und sagte:
    »Genossen, ich bin bereit!«
    »Bravo!« rief Professor Tannenbaum und klatschte Beifall. Aber Gula brachte ihn sofort zum Schweigen.
    »Hören Sie auf damit, Professor, hören Sie auf! Nichts als Gerede. Dulnikker kann ohne Konferenzen und Presseleute und Radio nicht leben.«
    »Nun, Sie sollen wissen, Madame«, brüllte Dulnikker, »daß ich inkognito in ein so winziges Dorf reisen werde, daß dort überhaupt keiner weiß, wer ich bin! Falls es einen so rückständigen Ort in unserem Land überhaupt gibt«, fügte er hinzu.
    »Gibt’s keinen«, meinte der Sekretär. »Daher ist es besser, wir fahren auf zwei Monate in die Schweiz.«
    »Geht nicht. Aus Prinzip nicht«, versicherte ihm Dulnikker. »Ich habe den Schwur getan, daß ich das Heilige Land niemals verlassen werde. Außer in einer Mission.«
    »Das ließe sich richten«, murmelte der Sekretär sehr enttäuscht.
    Es läutete an der Tür, und Frau Dulnikker meldete: »Der Schultheiß von der Tnuva-Kooperative! Um die Zeit! Elf Uhr nachts! .«
    Dulnikkers Arbeitszimmer paßte gut zu der übrigen Wohnung: Ein breiter, schwerer Schreibtisch in Barock nahm die Mitte des Zimmers ein, beladen mit Wochenzeitschriften, Broschüren, Jahrbüchern, Flugblättern und Parteiliteratur. Eine Büste Dulnikkers, das Werk eines italienischen zionistischen Bildhauers der frühen dreißiger Jahre, beherrschte die eine Ecke des Zimmers. Über dem Schreibtisch hing ein achtflammiger Stillüster, dessen einzige Glühbirne den Raum nur trüb erhellte.
    »Guten Abend, Schultheiß, setz dich«, begrüßte der Staatsmann im verdrückten Pyjama seinen Besucher. »Kommt zur Sache, Genossen. Worum geht’s?«
    Das war wieder der alte, zähe Dulnikker, >das alte Pulverfaß<, wie ihn seine engsten Freunde jahrelang genannt hatten. Selbst der Leiter der Tnuva, der riesigen Marktgenossenschaft mit Zweigstellen im ganzen Land, neigte respektvoll den Kopf, bevor er 300000 Pfund aus dem Entwicklungsanleihefonds verlangte.
    »Schön«, erwiderte Dulnikker. »Du hast Glück, Schultheiß, daß du nicht einen Tag später gekommen bist. Zev! Setz dich mit der Kreditkommission in Verbindung. Ich bin dafür.«
    »Danke, Dulnikker«, sagte der Manager mit einem breiten Grinsen. »Ich weiß wirklich nicht, wie ich dir für deine Hilfe danken soll.«
    Nachdenklich saß Dulnikker hinter seinem Barockschreibtisch. »Ich nehme an, Schultheiß, daß du mit den entferntesten Landgemeinden in Fühlung bist.«
    Zev begann sich zu räuspern, drang jedoch damit nicht bis zu Dulnikker durch, der sich plötzlich erstaunlich verjüngte.
    »Schultheiß, nenne mir das fernste und einsamste Dorf.«
    Schultheiß warf dem Staatsmann einen erstaunten Blick zu und brauchte eine Weile, bis er antwortete:
    »Im obersten Ostgaliläa, praktisch an der libanesischen Grenze, liegt ein winziges Dorf, von dem noch kaum ein Mensch gehört hat. Der einzige Grund, warum ich mich an den
    Flecken erinnere, ist der, weil er das ganze Land mit Karawija-Samen versorgt.«
    »Karawija«, erkundigte sich der junge Sekretär grollend. »Was ist denn das?«
    »In der alten Heimat war es als Kimmel oder Kümmel bekannt«, sagte Dulnikker in Entfaltung seiner berühmten weitreichenden Sprachkenntnisse. Der Manager nickte achtungsvoll zustimmend und erklärte dem Sekretär, daß die Karawijastaude wenig Bewässerung brauche und daher dem dürren, felsigen Bergboden entspreche.
    »Zev«, wandte sich Dulnikker mit einem verschmitzten Lächeln an seinen Sekretär, »was sagst du dazu?«
    »Ich sage, Dulnikker, daß die Regenperiode bevorsteht.«
    »Nun wennschon? Ich nehme den Regenschirm mit.«
    »Verzeihung«, stammelte Schultheiß, und sein verblüffter Blick schoß vom Staatsmann zum Sekretär und wieder zurück. »Was hast du vor, Dulnikker? Dort ist nichts Besonderes los. Im Gegenteil, es ist ein völlig abgelegenes Dorf, ein wahres Drecknest. Ich verstehe wirklich nicht ...«
    »Wie heißt der Ort?«
    Schultheiß starrte Dulnikker an.
    »Kimmelquell«, flüsterte er.
    Irgendwo auf dem Land
    Unermüdlich fraß sich der große Tnuva-Lastwagen über die gewundenen Landstraßen von Obergaliläa vor, Dulnikker und
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