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Der Bienenfresser

Der Bienenfresser

Titel: Der Bienenfresser
Autoren: Niklaus Schmid
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zerbrechlich. Sie hielt die Hände im Schoß gefaltet und lächelte entrückt; ihre Umgebung schien sie kaum
    wahrzunehmen.
    Ich berührte sie an der Schulter. »Wie fühlen Sie sich?«
    »Ach, es geht, ich bin nur so müde.«
    Vergangene Nacht war Dora von einem Bein aufs andere gesprungen, voller Energie und Lebenslust, regelrecht ausgelassen – nun ja, da hatte bei ihr auch noch die Dröhnung gewirkt.
    Das Flugzeug hob ab, ich lehnte mich zurück, schloss die Augen und ließ die letzten Stunden an mir vorüberziehen.
    Nachdem das Wassertaxi im Hafen von Ibiza-Stadt angelegt hatte, waren wir im Eilschritt zu unserem Hotel gelaufen. Doch Dora hatte plötzlich Angst bekommen, unbedingt wollte sie unter Menschen sein. Also gingen wir am Montesol vorbei zum Taxistand auf dem Paseo de Vera de Rey und ließen uns zur Diskothek Privilege in San Rafael bringen.
    Auf dem Weg dorthin erklärte ich Dora, was ich vorhatte:
    »Ich bringe Sie nach Deutschland, Verena wird sich um Sie kümmern.«
    »Verena ist in Ordnung, eine Freundin. Aber warum tun Sie das?«, wollte sie wissen.
    »Verena bezahlt mich dafür.«
    »Geld, Geld!«, schüttelte sie den Kopf.
    Ich wollte Dora noch etwas fragen, ließ es dann aber, weil ich an ihrem Gesicht sah, dass ihr nicht der Sinn nach Erklärungen stand.
    Das Taxi hielt vor der Diskothek Privilege. Die Musik, das Licht, die Leute – Dora strahlte wie ein Kind, das ein Geschenk auspacken darf. Auch Cetin freute sich, Ibizas berühmten Tanztempel von innen sehen zu können, und ich sagte mir, dass diese Riesendisko, bevölkert von ein paar Tausend tanzwütigen Besuchern, der wohl sicherste Platz für meine Zeugin war.
    Es war drei Uhr nachts, gerade die richtige Stunde; die Touristen machten sich auf den Weg zum Hotel, die Nachtkatzen kamen. Das Privilege feierte die Fiesta ›noche magica‹, die Gäste hatten sich verkleidet und Dora war in ihrem Element. Nach einer Weile wollte sie sich frisch machen, wie sie sagte, und ich hielt Wache vor der Damentoilette. Es dauerte etwas, doch dann kam sie wieder, geschminkt bis zum Haaransatz und mit großen, flackernden Augen. Mädels mit dem richtigen Aussehen und den
    passenden Worten bekamen auf dem Damenklo alles, was sie brauchten.
    Was ihr noch fehlte, war eine lila Federboa, die ich einer Dragqueen abkaufte und Dora um den Hals legte. So fuhren wir, in einem offenen Jeep, hinüber zum Amnesia. Da war es halb fünf und wir kamen rechtzeitig zur Schaumparty. Als wir schließlich in unserem Hotelzimmer standen, dämmerte der Morgen. Uns blieben noch knapp drei Stunden zum Schlafen oder Quatschen, dann mussten wir am Aeropuerto von Ibiza sein.
    Ich nahm die Gelegenheit wahr, Dora jetzt ein paar Fragen zu stellen, später, im Flugzeug, würden wir uns nicht über Drogen, über Gerry und Terry und das Institut Ibosim unterhalten können.
    Dora antwortete stockend, mit langen Pausen, in denen ich nicht wusste, ob sie nachdachte oder geistig weggetreten war.
    »Wie ging es weiter?«, hakte ich nach. »Ich meine, nach dem Zwischenfall mit der Flamingo -Maschine und nach der Vernehmung durch die Polizei.«
    »Ich hatte Angst, allein zu sein; es war, wie soll ich’s sagen, als ob ein langer Arm nach mir greift, vor allem nachts, aber auch tagsüber, überall, erst in dem Institut – Gerry und Terry hatten mich dorthin gebracht – fühlte ich mich geborgen.
    Ruhe, friedliche Menschen, man hat mir gesagt, was ich tun musste, ich brauchte mich nicht zu sorgen. Außerdem bekam ich…«
    Sie biss sich auf die Unterlippe und schwieg.
    Gern hätte ich etwas mehr über das Institut und seine Verbindungen zur Inselgesellschaft herausbekommen, aber Dora wollte nicht mehr reden.
    Ich weckte Cetin, der während meines Gesprächs mit Dora im Sessel eingeschlafen war, und wir fuhren zum Flughafen.
    Wir hatten nur wenig Gepäck, Dora nicht einmal einen Ausweis, aber zum Glück brauchte man den ja nicht mehr vorzuzeigen. Ihr Aufzug, Männersakko über knöchellangem Kleid, fiel auch nicht weiter auf. Rolltreppe hoch. Kurz vor der Sicherheitskontrolle wurde Dora dann doch noch zickig – die Beamten der Guardia Civil guckten schon –, ich nahm sie an die Hand, wie in der Höhle, und wir gingen durch die Sperre.
    Kein Piepsen, kein »un momento, por favor!«.
    Adios Ibiza, isla blanca.
    »He, Chefe, aufwachen, wir landen.« Cetin grinste mich an.
    Aus den Bordlautsprechern sülzte ›Ocean of Light‹, während über den Bildschirm all diese abgegriffenen
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