Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Bienenfresser

Der Bienenfresser

Titel: Der Bienenfresser
Autoren: Niklaus Schmid
Vom Netzwerk:
nicht eidesstattliche Falschaussagen strafbar seien.
    »Ist klar, Herr Kommissar, bei der ersten Aussage war ich ein bisschen benebelt, ich trink schon mal ein Bierchen, und sauer war ich auch auf den Laflör, weil ich den lieben
    Vereinskollegen kurz vorher ja mal sozusagen erwischt hatte, wie der mit meiner Alten; also, ich konnte gerade noch sehen, wie er übern Gartenzaun da vorne flitzte, das Bier und meine Wut, die haben meine erste Aussage wohl ein bisschen beeinflusst; aber jetzt erinnere ich mich wieder ganz genau, wie die Sache an dem Tag abgelaufen ist.«
    Das Geld hatte Kallmeyers Durchblick geschärft und sein Erinnerungsvermögen aufgefrischt. Nachdem er einen Schluck genommen und seinen Mund mit dem Ärmel abgewischt hatte, schilderte er den Hergang in aller Breite, würzte seinen Bericht mit Fachausdrücken über die Taubenzucht und kam zu dem Ergebnis: »Ja, nee, dass der Laflör gezielt geschossen hat, kann man wirklich nicht sagen, der wollte doch nur die Taube, die sich auf den Gewehrlauf gesetzt hatte, wieder abschütteln und dabei muss sich dann der Schuss gelöst haben; ja, ich denke, so war das, Herr Kommissar, schuld war die Taube!«
    »Schuld war die Taube«, wiederholte Kurt, als wir in meinem Wagen saßen, und schüttelte den Kopf. »Sag mal, wie hast du das denn hingekriegt?«
    »Also…«
    »Nein, sag mir nichts«, unterbrach er mich. So inkonsequent konnten Polizisten sein.
    Ich brachte Kurt zu seiner Dienststelle zurück. Wie eine Festung stand der Bau an der Düsseldorfer Straße; Kurt ließ seinen Blick über die Front mit den verrußten Backsteinen schweifen, er lächelte wehmütig, als müsste er ins Kloster, während draußen das Leben tobte. Tatsächlich waren die Büros so etwas wie Klosterzellen, ich kannte sie ja, und hinter einem der kleinen Fenster wartete auf ihn der Stahlschrank mit den Aktenordnern, daneben der Schreibtisch mit dem Computer, der Kaffeetasse und dem gerahmten Familienfoto, in der Schublade darunter das Tonbandgerät, das morgen Kallmeyers Aussage aufnehmen würde.
    »Und wenn dein Zeuge widerruft?«
    »Tut er nicht. Er hat…«
    Er hob die Hand, wollte auch davon nichts wissen.
    Stattdessen fragte er, was ich denn nun so vorhätte. Ich sagte, dass ich jetzt gemütlich essen ginge, danach meine Siesta halten und eventuell noch ins Kino gehen würde, womöglich würde ich vorher noch mein Notizbuch durchstöbern, um nicht allein im Kinosaal zu sitzen.
    »Tja, Kurt, was private Ermittler so mit einem
    angebrochenen Tag anfangen.«
    »Mensch, Elmar, du hast es gut.«
    Er schüttelte wieder den Kopf, berührte mich an der Schulter und stieg aus. Ich sah ihm nach, bis er hinter der Tür des Präsidiums verschwunden war, dann fuhr ich in mein Büro und starrte Löcher in die Luft.
    Auch in den folgenden Tagen hatte ich nichts zu tun, stand die* meiste Zeit am Fenster, sah den Tauben zu, die in der Dachrinne Schutz suchten, und lauschte dem peitschenden Regen. Ein steifer Wind, der den Herbst ankündigte, wehte ums Haus. Hin und wieder meldete sich das Telefon, ein Anruf, ein Fax, aber nichts von dem, was ich erhoffte.
    Eine Woche nach meinem Besuch bei Kallmeyer, es war schon dunkel, hörte ich ein Pochen an meiner Tür, das so zaghaft wie das Kratzen einer Katzenpfote klang.
    Ich öffnete die Tür und da stand sie.
    Marie Laflör, die Haare kürzer, das Gesicht noch hübscher, als ich es in Erinnerung hatte, die schönen, etwas schräg geschnittenen Augen, der leicht geöffnete Mund; wie bei ihrem ersten Besuch hatte sie ein rotes Nickituch um den Hals gebunden.
    Wir brauchten keine Musik, kein Kerzenlicht, nicht einmal verschlabberte Milch als Vorwand. Wir zogen uns aus, stumm und in einer Windeseile, als müssten wir einen Rekord brechen. Streicheln, küssen, riechen, schmecken, wir wollten alles gleichzeitig tun, verknäuelten uns wie Aale, lagen schließlich Bauch an Bauch zunächst auf dem Boden, dann auf dem Bett, ich umfasste diese wunderbare Frau und drückte sie an mich, als wollte ich sie nie mehr loslassen. Wir liebten uns, die Welt war perfekt, unsere Sprache sehr reduziert:
    »Ja, so… mach das noch einmal!«
    »Aber wir müssen doch…«
    »Nein, nicht aufhören… mach weiter!«
    Zum Aufhören war es auch längst zu spät, ich kam und kam; ich schwitzte und schnaufte und war glücklich, nicht nur relativ, sondern rundum, für Sekunden, vielleicht waren es gar Minuten, das ist nicht viel, aber länger wäre dieses Gefühl wohl auch gar nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher