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Der Besuch der alten Dame (German Edition)

Der Besuch der alten Dame (German Edition)

Titel: Der Besuch der alten Dame (German Edition)
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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BÜRGERMEISTER Wir warten nur auf Ihren Gatten, gnädige Frau.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Sie brauchen nicht zu warten. Er angelt, und ich lasse mich scheiden.
    DER BÜRGERMEISTER Scheiden?
    CLAIRE ZACHANASSIAN Auch Moby wird sich wundern. Heirate einen deutschen Filmschauspieler.
    DER BÜRGERMEISTER Aber Sie sagten doch, sie führten eine glückliche Ehe!
    CLAIRE ZACHANASSIAN Jede meiner Ehen ist glücklich. Aber es war mein Jugendtraum, im Güllener Münster getraut zu werden. Jugendträume muß man ausführen. Wird feierlich werden.
    Alle setzen sich. Claire Zachanassian nimmt zwischen dem Bürgermeister und Ill Platz. Neben Ill sitzt Frau Ill und neben dem Bürgermeister dessen Gattin. Rechts hinter einem anderen Tisch der Lehrer, der Pfarrer und der Polizist, links die Vier. Weitere Ehrengäste mit Gattinnen im Hintergrund, wo das Spruchband leuchtet: Willkommen Kläri. Der Bürgermeister steht auf, freudestrahlend, schon die Serviette umgebunden, und klopft an sein Glas.
     
    DER BÜRGERMEISTER Gnädige Frau, meine lieben Güllener. Es sind jetzt fünfundvierzig Jahre her, daß Sie unser Städtchen verlassen haben, welches vom Kurfürsten Hasso dem Noblen gegründet, so freundlich zwischen dem Konradsweilerwald und der Niederung von Pückenried gebettet liegt. Fünfundvierzig Jahre, mehr als vier Jahrzehnte, eine Menge Zeit. Vieles hat sich inzwischen ereignet, viel Bitteres. Traurig ist es der Welt ergangen, traurig uns. Doch haben wir Sie, gnädige Frau – unsere Kläri – Beifall – nie vergessen. Weder Sie, noch Ihre Familie. Die prächtige, urgesunde Mutter, die ganz in ihrer Ehe aufging – Ill flüstert ihm etwas zu – leider allzufrüh entschwunden, der volkstümliche Vater, der beim Bahnhof ein von Fachkreisen und Laien stark besuchtes – Ill flüstert ihm etwas zu – stark beachtetes Gebäude errichtete, leben in Gedanken noch unter uns, als unsere Besten, Wackersten. Und gar Sie, gnädige Frau – als blond – Ill flüstert ihm etwas zu – rotgelockter Wildfang tollten Sie durch unsere nun leider verlotterten Gassen – wer kannte Sie nicht. Schon damals spürte jeder den Zauber Ihrer Persönlichkeit, ahnte den kommenden Aufstieg zu der schwindelnden Höhe der Menschheit. Er zieht das Notizbüchlein hervor. Unvergessen sind Sie geblieben. In der Tat. Ihre Leistung in der Schule wird noch jetzt von der Lehrerschaft als Vorbild hingestellt, waren Sie doch besonders im wichtigsten Fach erstaunlich, in der Pflanzen-und Tierkunde, als Ausdruck Ihres Mitgefühls zu allem Kreatürlichen, Schutzbedürftigen. Ihre Gerechtigkeitsliebe und Ihr Sinn für Wohltätigkeit erregte schon damals die Bewunderung weiter Kreise. Riesiger Beifall. Hatte doch unser Kläri einer armen alten Witwe Nahrung verschafft, indem sie mit ihrem mühsam bei Nachbarn verdienten Taschengeld Kartoffeln kaufte und sie so vor dem Hungertode bewahrte, um nur eine ihrer barmherzigen Handlungen zu erwähnen. Riesiger Beifall. Gnädige Frau, liebe Güllener, die zarten Keime so erfreulicher Anlagen haben sich denn nun kräftig entwickelt, aus dem rotgelockten Wildfang wurde eine Dame, die die Welt mit ihrer Wohltätigkeit überschüttet, man denke nur an ihre Sozialwerke, an ihre Müttersanatorien und Suppenanstalten, an ihre Künstlerhilfe und Kinderkrippen, und so möchte ich der nun Heimgefundenen zurufen: Sie lebe hoch, hoch, hoch!
    Beifall. Claire Zachanassian erhebt sich.
     
    CLAIRE ZACHANASSIAN Bürgermeister, Güllener. Eure selbstlose Freude über meinen Besuch rührt mich. Ich war zwar ein etwas anderes Kind, als ich nun in der Rede des Bürgermeisters vorkomme, in der Schule wurde ich geprügelt, und die Kartoffeln für die Witwe Boll habe ich gestohlen, gemeinsam mit Ill, nicht um die alte Kupplerin vor dem Hungertode zu bewahren, sondern um mit Ill einmal in einem Bett zu liegen, wo es bequemer war als im Konradsweilerwald oder in der Peterschen Scheune. Um jedoch meinen Beitrag an eure Freude zu leisten, will ich gleich erklären, daß ich bereit bin, Güllen eine Milliarde zu schenken. Fünfhundert Millionen der Stadt und fünfhundert Millionen verteilt auf alle Familien.
    Totenstille.
     
    DER BÜRGERMEISTER stotternd Eine Milliarde.
    Alle immer noch in Erstarrung.
     
    CLAIRE ZACHANASSIAN Unter einer Bedingung.
    Alle brechen in einen unbeschreiblichen Jubel aus. Tanzen herum, stehen auf die Stühle, der Turner turnt usw. Ill trommelt sich begeistert auf die Brust.
     
    ILL Die Klara! Goldig! Wunderbar! Zum Kugeln! Voll und
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