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Der Besuch der alten Dame (German Edition)

Der Besuch der alten Dame (German Edition)

Titel: Der Besuch der alten Dame (German Edition)
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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in einer Kirche. Genierte mich, dabeizusein. Ich habe mich denn auch entfernt, wie sie in den Konradsweilerwald gingen. Eine regelrechte Prozession. Vorne zwei dicke blinde Männer mit dem Butler, dann die Sänfte, dahinter Ill und ihr siebenter Mann mit seinen Angelruten.
    DER BÜRGERMEISTER Männerverbrauch.
    DER LEHRER Eine zweite Lais.
    DER PFARRER Wir sind alle Sünder.
    DER BÜRGERMEISTER Ich wundere mich, was die im Konradsweilerwald suchen.
    DER POLIZIST Das gleiche wie in der Peterschen Scheune, Bürgermeister. Sie gehen den Lokalitäten nach, wo einst ihre Leidenschaft – wie sagt man –
    DER PFARRER brannte!
    DER LEHRER Lichterloh! Da muß man schon an Shakespeare denken. Romeo und Julia. Meine Herren: Ich bin erschüttert. Zum ersten Male in Güllen fühle ich antike Größe.
    DER BÜRGERMEISTER Vor allem wollen wir auf unseren guten Ill anstoßen, der sich jede nur erdenkliche Mühe gibt, unser Los zu bessern. Meine Herren, auf den beliebtesten Bürger der Stadt, auf meinen Nachfolger!
    Sie stoßen an.
     
    DER BÜRGERMEISTER Schon wieder Koffer.
    DER POLIZIST Was die für ein Gepäck hat.
    Der Wirtshausapostel schwebt wieder nach oben. Von links kommen die vier Bürger mit einer einfachen Holzbank, ohne Lehne, die sie links absetzen. Der Erste steigt auf die Bank, ein großes Kartonherz umgehängt mit den Buchstaben AK , die andern stellen sich im Halbkreis um ihn, breiten Zweige auseinander, markieren Bäume.
     
    DER ERSTE Wir sind Fichten, Föhren, Buchen.
    DER ZWEITE Wir sind dunkelgrüne Tannen.
    DER DRITTE Moos und Flechten, Efeudickicht.
    DER VIERTE Unterholz und Fuchsgeheg.
    DER ERSTE Wolkenzüge, Vogelrufe.
    DER ZWEITE Echte deutsche Wurzelwildnis.
    DER DRITTE Fliegenpilze, scheue Rehe.
    DER VIERTE Zweiggeflüster, alte Träume.
    Aus dem Hintergrund kommen die zwei kaugummikauenden Monstren, die Sänfte mit Claire Zachanassian tragend, neben ihr Ill. Dahinter der Gatte VII und ganz im Hintergrund der Butler, die beiden Blinden an der Hand führend.
     
    CLAIRE ZACHANASSIAN Der Konradsweilerwald, Roby und Toby, haltet mal an.
    DIE BEIDEN BLINDEN Anhalten, Roby und Toby, anhalten, Boby und Moby.
    Claire Zachanassian steigt aus der Sänfte, betrachtet den Wald.
     
    CLAIRE ZACHANASSIAN Das Herz mit deinem und meinem Namen, Alfred. Fast verblichen und auseinandergezogen. Der Baum ist gewachsen, sein Stamm, seine Äste dick geworden wie wir selber. Sie geht zu den anderen Bäumen. Eine deutsche Baumgruppe. Ich ging schon lange nicht mehr im Walde meiner Jugend, stampfte schon lange nicht mehr durch Laub, durch violetten Efeu. Spaziert nun etwas hinter die Büsche, mit eurer Sänfte, ihr Kaugummikauer, ich mag eure Visagen nicht immer sehen. Und du, Moby, wandere nach rechts gegen den Bach zu deinen Fischen.
    Die zwei Monstren mit der Sänfte links ab. Gatte VII nach rechts, Claire Zachanassian setzt sich auf die Bank.
     
    CLAIRE ZACHANASSIAN Schau mal, ein Reh.
    Der Dritte springt davon.
     
    ILL Schonzeit. Er setzt sich zu ihr.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Auf diesem Findling küßten wir uns. Vor mehr als fünfundvierzig Jahren. Wir liebten uns unter diesen Sträuchern, unter dieser Buche, zwischen Fliegenpilzen im Moos. Ich war siebzehn und du noch nicht zwanzig. Dann hast du Mathilde Blumhard geheiratet mit ihrem Kleinwarenladen und ich den alten Zachanassian mit seinen Milliarden aus Armenien. Er fand mich in einem Hamburger Bordell. Meine roten Haare lockten ihn an, den alten, goldenen Maikäfer.
    ILL Klara!
    CLAIRE ZACHANASSIAN Eine Henry Clay, Boby.
    DIE BEIDEN BLINDEN Eine Henry Clay, eine Henry Clay.
    Der Butler kommt aus dem Hintergrund, reicht ihr eine Zigarre, gibt ihr Feuer.
     
    CLAIRE ZACHANASSIAN Ich schätze Zigarren. Eigentlich sollte ich jene meines Mannes rauchen, aber ich traue ihnen nicht.
    ILL Dir zuliebe habe ich Mathilde Blumhard geheiratet.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Sie hatte Geld.
    ILL Du warst jung und schön. Dir gehörte die Zukunft. Ich wollte dein Glück. Da mußte ich auf das meine verzichten.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Nun ist die Zukunft gekommen.
    ILL Wärest du hier geblieben, wärest du ebenso ruiniert wie ich.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Du bist ruiniert?
    ILL Ein verkrachter Krämer in einem verkrachten Städtchen.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Nun habe ich Geld.
    ILL Ich lebe in einer Hölle, seit du von mir gegangen bist.
    CLAIRE ZACHANASSIAN Und ich bin die Hölle geworden.
    ILL Ich schlage mich mit meiner Familie herum, die mir jeden Tag die Armut vorhält.
    CLAIRE ZACHANASSIAN
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