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Der Besuch der alten Dame (German Edition)

Der Besuch der alten Dame (German Edition)

Titel: Der Besuch der alten Dame (German Edition)
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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BUTLER Was geschah mit Ihnen?
    CLAIRE ZACHANASSIAN Ich wurde eine Dirne.
    DER BUTLER Weshalb?
    CLAIRE ZACHANASSIAN Das Urteil des Gerichts machte mich dazu.
    DER BUTLER Und nun wollen Sie Gerechtigkeit, Claire Zachanassian?
    CLAIRE ZACHANASSIAN Ich kann sie mir leisten. Eine Milliarde für Güllen, wenn jemand Alfred Ill tötet.
    Totenstille.
     
    FRAU ILL stürzt auf Ill zu, umklammert ihn Fredi!
    ILL Zauberhexchen! Das kannst du doch nicht fordern! Das Leben ging doch längst weiter!
    CLAIRE ZACHANASSIAN Das Leben ging weiter, aber ich habe nichts vergessen, Ill. Weder den Konradsweilerwald noch die Petersche Scheune, weder die Schlafkammer der Witwe Boll noch deinen Verrat. Nun sind wir alt geworden, beide, du verkommen und ich von den Messern der Chirurgen zerfleischt, und jetzt will ich, daß wir abrechnen, beide: Du hast dein Leben gewählt und mich in das meine gezwungen. Du wolltest, daß die Zeit aufgehoben würde, eben, im Wald unserer Jugend, voll von Vergänglichkeit. Nun habe ich sie aufgehoben, und nun will ich Gerechtigkeit, Gerechtigkeit für eine Milliarde.
    Der Bürgermeister steht auf, bleich, würdig.
     
    DER BÜRGERMEISTER Frau Zachanassian: Noch sind wir in Europa, noch sind wir keine Heiden. Ich lehne im Namen der Stadt Güllen das Angebot ab. Im Namen der Menschlichkeit. Lieber bleiben wir arm denn blutbefleckt.
    Riesiger Beifall.
     
    CLAIRE ZACHANASSIAN Ich warte.

Zweiter Akt
     
    Das Städtchen, nur angedeutet. Im Hintergrund das ›Hotel zum Goldenen Apostel‹. Von außen. Verlotterte Jugendstilfassade. Balkon. Rechts eine Inschrift: Alfred Ill, Handlung. Darunter ein schmutziger Ladentisch, dahinter ein Regal mit alten Waren. Wenn jemand durch die fingierte Ladentüre kommt, ertönt eine dünne Glocke. Links Inschrift: Polizei. Darunter ein Holztisch mit einem Telephon. Zwei Stühle. Es ist Morgen. Roby und Toby tragen von links kaugummikauend Kränze, Blumen wie zu einer Beerdigung über die Bühne nach hinten ins Hotel. Ill schaut ihnen durchs Fenster zu. Seine Tochter fegt auf den Knien den Boden. Sein Sohn steckt eine Zigarette in den Mund.
     
    ILL Kränze.
    DER SOHN Jeden Morgen bringen sie die vom Bahnhof.
    ILL Für den leeren Sarg im ›Goldenen Apostel‹.
    DER SOHN Schüchtert niemand ein.
    ILL Das Städtchen steht zu mir.
    Der Sohn zündet die Zigarette an.
     
    ILL Kommt die Mutter zum Frühstück?
    DIE TOCHTER Sie bleibe oben. Sie sei müde.
    ILL Eine gute Mutter habt ihr, Kinder. Ich muß es einmal sagen. Eine gute Mutter. Sie soll oben bleiben, sie soll sich schonen. Dann frühstücken wir miteinander. Das haben wir schon lange nicht getan. Ich stifte Eier und eine Büchse amerikanischen Schinken. Wir wollen es feudal haben. Wie in den guten Zeiten, als noch die Platz-an-der-Sonne-Hütte florierte.
    DER SOHN Du mußt mich entschuldigen. Er drückt die Zigarette aus.
    ILL Du willst nicht mit uns essen, Karl?
    DER SOHN Ich gehe zum Bahnhof. Ein Arbeiter ist krank. Die brauchen vielleicht Ersatz.
    ILL Bahnarbeit in der prallen Sonne ist keine Beschäftigung für meinen Jungen.
    DER SOHN Besser eine als keine. Er geht davon.
    DIE TOCHTER steht auf Ich gehe auch, Vater.
    ILL Du auch. So. Wohin denn, wenn ich das Fräulein Tochter fragen darf?
    DIE TOCHTER Aufs Arbeitsamt. Vielleicht gibt es eine Stelle. Sie geht davon.
    ILL gerührt, niest in sein Taschentuch Gute Kinder, brave Kinder.
    Vom Balkon her dringen einige Gitarrentakte.
     
    DIE STIMME CLAIRE ZACHANASSIANS Reich mir mein linkes Bein herüber, Boby.
    DIE STIMME DES BUTLERS Ich kann es nicht finden.
    DIE STIMME CLAIRE ZACHANASSIANS Hinter den Verlobungsblumen auf der Kommode.
    Zu Ill kommt der erste Kunde (der Erste).
     
    ILL Guten Morgen, Hofbauer.
    DER ERSTE Zigaretten.
    ILL Wie jeden Morgen.
    DER ERSTE Nicht die, möchte die Grünen.
    ILL Teurer.
    DER ERSTE Schreiben’s auf.
    ILL Weil Sie es sind, Hofbauer, und weil wir zusammenhalten müssen.
    DER ERSTE Da spielt jemand Gitarre.
    ILL Einer der Gangster aus Sing-Sing.
    Aus dem Hotel kommen die beiden Blinden, Angelruten und andere zum Fischen nötige Utensilien tragend.
     
    DIE BEIDEN Einen schönen Morgen, Alfred, einen schönen Morgen.
    ILL Hol euch der Teufel.
    DIE BEIDEN Wir gehen fischen, wir gehen fischen. Sie ziehen nach links davon.
    DER ERSTE Gehen zum Güllenbach.
    ILL Mit den Angelruten ihres siebenten Mannes.
    DER ERSTE Soll seine Tabakplantagen verloren haben.
    ILL Gehören auch der Milliardärin.
    DER ERSTE Dafür wird’s eine Riesenhochzeit mit
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