Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Besen im System

Titel: Der Besen im System
Autoren: David Foster Wallace
Vom Netzwerk:
schaute sie kurz an. »Finden Sie das witzig?«, sagte sie.
    »Wie bitte?«, fragte Lenore, doch die Krankenschwester schenkte ihr nur einen genervten Blick. »Ach so«, sagte Lenore. »Sie kennen mich noch nicht. Normalerweise sitzt Madge hier. Ich heiße Lenore Beadsman, aber ich möchte Lenore Beadsman besuchen. Das ist meine Urgroßmutter, und ich...«
    »Tja, in diesem Fall«, und die Krankenschwester sah auf ihren Tisch, »müsste ich kurz Mr. Bloemker anrufen. Kleinen Moment, bitte.«
    »Was ist denn los? Geht es ihr nicht gut?«, fragte Lenore. »Ich war gerade unter der...«
    »Sie können gleich mit Mr. Bloemker sprechen. Hallo, Mr. Bloemker? Eine Lenore Beadsman wartet hier in Bereich B. Kleinen Moment, er ist gleich bei Ihnen.«
    »Aber warum kann ich nicht einfach auf ihr Zimmer gehen? Was ist denn passiert?«
    Die Krankenschwester sah sie an. »Ihr Haar ist ja ganz nass.«
    »Ich weiß.«
    »Und nicht gekämmt.«
    »Danke, dass Sie mir das sagen. Aber ich war gerade unter der Dusche, als meine Vermieterin die Treppe hochrief, Mr. Bloemker habe angerufen.«
    »Aber woher weiß Ihre Vermieterin das?«
    »Wie bitte?«
    »Dass der Anruf von Mr. Bloemker kam.«
    »Nein, ich bin nur unter der Nummer einer Nachbarnin zu erreichen, und sie konnte mir deshalb auch nicht sagen...«
    »Was, Sie haben kein eigenes Telefon?«
    »Hören Sie, was soll diese Fragerei? Nein, ich habe kein eigenes Telefon. Und ich will mich auch nicht dauernd wiederholen, aber ich wüsste trotzdem gern, was los ist. Warum will mich Mr. Bloemker unbedingt sprechen? Soll ich die Familie verständigen? Wo ist Lenore denn jetzt?«
    Die Schwester schaute hart an Lenore vorbei auf einen Punkt irgendwo hinter Lenores linker Schulter, ihre Miene verhärtete sich. »Tut mir Leid, aber ich bin nicht befugt, Ihnen Näheres über Ihre...«, und senkte den Blick, »... Lenore Beadsman, Bereich F. Wenn Sie sich bitte noch einen kleinen Augenblick gedulden, dann können wir...«
    »Wo ist denn die Schwester, die sonst immer hier ist? Wo ist Madge? Wo ist Mr. Bloemker?«
    Mr. Bloemker erschien aus der trüben Tiefe des Flurs, jenseits des Bereichs, der vom Licht der Rezeption noch beleuchtet wurde.
    »Ms. Beadsman!«
    »Mr. Bloemker!«
    »Psst«, sagte die Schwester, denn unter den rollstuhlgebundenen Gestalten rund um die Service-Insel rief Lenores Ausruf eine Welle des Seufzens, Stöhnens und wenig zielgerichteter Schreie hervor. In einem Tageszimmer gleich nebenan ging ein Fernseher an, und Lenore erkannte die grellen Farben einer Gameshow, als sie auf Mr. Bloemker zuging.
    »Mr. Bloemker.«
    »Hallo, Ms. Beadsman. Danke, dass Sie so schnell kommen konnten. Müssen Sie nicht eigentlich arbeiten?«
    »Was ist mit meiner Urgroßmutter? Warum haben Sie angerufen?«
    »Ich schlage vor, wir gehen kurz in mein Büro.«
    »Aber ich verstehe das nicht. Warum kann ich nicht einfach ...« Lenore stutzte. »Lieber Himmel, sie ist doch nicht etwa...?«
    »Um Gottes willen, nein. Bitte kommen Sie mit, ich ... Vorsicht, passen Sie auf, da kommt... guten Morgen, Mrs. Felter.« Eine Frau im Rollstuhl sauste vorbei.
    »Wer war die Schwester an der Rezeption?«
    »Gleich diese Tür.«
    »Das ist aber nicht Omas Zimmer.«
    »Hier entlang, bitte.«
│b│
    Jetzt versuch dir mal vorzustellen, wie du dich fühlen würdest, wenn deine eigene Urgroßmutter – und urgroß war sie tatsächlich, in mehr als einer Hinsicht: nämlich deine Namensgeberin, der Mensch, unter dessen Ägide du zum ersten Mal Schokolade probiert hast, der Mensch, der dir Bücher, Swing-Sets, Antinomien, Bridge und die Wüste nahe gebracht hat und in dessen Gegenwart dir zum ersten Mal das Blut in die Unterhose lief (sechzehn warst du da, fast schon siebzehn, was ziemlich spät ist, und es geschah im Ostflügel, beim Abspann von Meine drei Söhne, wenn die animierten Schuhe steppen, plötzlich dieses glitschige Gefühl und diese komische Art Erleichterung, und Urgroßmutter, die gleichzeitig anfängt zu lachen und zu schimpfen und mit links nachfühlt, ihre alte Hand in Lenores neuem Alter), der Mensch, durch dessen persönliche Großzügigkeit, durch dessen Fürsprache bei gewissen Vätern du zweimal, wenn auch nur kurz, ins Ausland reisen durftest, die Urgroßmutter, die immer in deiner Nähe gewesen ist – wenn diese Urgroßmutter auf einmal überhaupt nicht mehr da wäre, wenn sie etwa wie ein durchweichter Salzcracker auf irgendeinem Highway läge, eine Reifenspur auf der Stirn, ihre Gehhilfe
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher