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Der Besen im System

Titel: Der Besen im System
Autoren: David Foster Wallace
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Mindy auf dem Stuhl neben dem Kühlschrank nach vorn beugt, um an dem Nagellack zu kratzen. Dabei öffnet sich ihr Bademantel, und Lenore kann in ihren Ausschnitt sehen und so, und dort ist deutlich mehr, als sie selbst zu bieten hat, und der weiße Handtuch-Turban, den sich Mindy um ihre frisch gewaschenen Haare gewickelt hat, löst sich allmählich, wodurch ihr eine einzelne dunkle Strähne über die Wange fällt und weiter bis unters Kinn, was sehr nach stiller Anmut aussieht. Es riecht nach Shampoo im Zimmer und auch nach Pot, denn Clarice und Sue Shaw rauchen an einer dicken Tüte, die Lenore vorher von Ed Creamer geschenkt bekommen hat, zu Hause in ihrer Schule in Shaker Heights, und die sie ihrer Schwester Clarice mitgebracht hat, zusammen mit ein paar anderen Dingen, die sie noch brauchte.
    Die Sache ist nämlich die, dass Lenore Beadsman, 15, Lenore Beadsman aus Shaker Heights, Ohio, das ist in der Nähe von Cleveland, gerade zu Besuch ist bei ihrer älteren Schwester, Clarice Beadsman, die gerade ihr Studium auf dem Mädchen-College Mount Holyoke aufgenommen hat. Eine Übernachtungsmöglichkeit ist gegeben, Lenore schläft im Schlafsack in diesem Zimmer im zweiten Stock von Rumpus Hall zusammen mit Clarice und deren Mitbewohnerinnen Mindy Metalman und Sue Shaw. Lenore möchte sich bei dieser Gelegenheit ein bisschen auf dem College umsehen. Zwar ist sie erst fünfzehn, doch ziemlich intelligent und hat deshalb eine Klasse übersprungen und bereits den Junior-Abschluss auf ihrer Schule zu Hause in Shaker Heights und denkt deshalb auch schon ans College beziehungsweise überlegt, an welchem College sie sich im nächsten Jahr bewerben soll. Und deshalb ist sie im Augenblick auch zu Besuch. Im Augenblick ist März, ein Freitagabend.
    Sue Shaw, die nicht annähernd so gut aussieht wie Mindy oder Clarice, reicht den Joint an Mindy und Lenore weiter, und Mindy nimmt ihn und lässt sogar ihren Zeh einen Moment lang in Ruhe und zieht gewaltig an dem Joint, sodass er hell aufglüht und knisternd ein Samenkorn verbrennt und sich kleine Papierflocken lösen und durch den Raum schweben, was Clarice und Sue echt komisch finden und deshalb voll anfangen zu lachen, bis sie sich, vor Lachen, aneinander festhalten müssen, während Mindy den Rauch in sich behält und den Joint an Lenore weitergibt, die aber sagt: nein danke.
    »Nein danke«, sagt Lenore.
    »Ach komm schon, du hast ihn mitgebracht, warum willst du denn nicht ...«, krächzt Mindy Metalman und hört sich genau so an, wie sich Leute anhören, die beim Sprechen die Luft anhalten, weil sie sich von dem Rauch noch nicht trennen wollen.
    »Ich weiß, aber jetzt ist Leichtathletik-Saison, und ich bin ich der Schulmannschaft, da rauche ich nicht. Es geht wirklich nicht, es würde mich umbringen«, sagt Lenore.
    Also zuckt Mindy nur mit den Schultern und entlässt schließlich eine große, blasse Wolke verbrauchten Rauchs, hustet kurz und tief und trägt den Joint hinüber zu Clarice und Sue Shaw, die neben dem großen hölzernen Lautsprecher sitzen und sich nun schon zum zehnten Mal an diesem Abend dieses Lied von Cat Stevens anhören. Mindys Bademantel ist jetzt mehr oder weniger offen, und Lenore sieht ein paar ziemlich interessante Sachen, doch Mindy scheint das nicht zu stören und geht einfach weiter. Lenore trennt mittlerweile die Mädchen, die sie kennt, in zwei Gruppen: die, die sich in ihrem tiefsten Innern für schön halten, und die, die sich nicht für schön halten. Mädchen, die sich für schön halten, scheren sich nicht um aufgehende Bademäntel, sie sind gut im Schminken, stellen sich gern dar, wenn Leute zugucken, und verhalten sich bei Jungs immer ganz anders als sonst. Mädchen wie Lenore, die sich nicht für schön halten, schminken sich eher nicht, treiben dagegen viel Sport, tragen schwarze Converse-Turnschuhe und halten ihren Bademantel immer geschlossen. Mindy ist wirklich hübsch, wenn man mal von den Füßen absieht.
    Der Cat-Stevens-Song ist mittlerweile zu Ende, die Nadel hebt sich von selbst, und offenbar fühlt sich keine der drei bemüßigt, aufzustehen und die Platte ein weiteres Mal zu starten. Alle hängen nur so rum auf ihren harten Holzstühlen, Mindy in ihrem verschossenen rosa Bademantel, aus dem ein glattes, schimmerndes Bein hervorschaut, Clarice mit ihren Cowboystiefeln, den dunkelblauen engen Jeans, von Lenore Schuhlöffel-Jeans genannt, und dem weißen Westernhemd, das sie auch damals auf der State Fair getragen hat, als
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