Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Bernstein-Mensch

Der Bernstein-Mensch

Titel: Der Bernstein-Mensch
Autoren: Gregory Benford & Gordon Eklund
Vom Netzwerk:
Kastor.
    Dieser dumme, einfältige Schweinehund, dachte sie. Erst hatte er gewollt, daß sie trauerte, und jetzt, wo es wirklich wichtig für ihn war, gab es absolut nichts mehr, was er tun könnte, so oder so.
    Colonel Kastor war heute gestorben. Er hatte ein Kriechfahrzeug in einen zwanzig Meter tiefen Spalt gesteuert und war umgekommen. Ein Unfall. Ein verdammt dummer, sinnloser, achtloser, zweckloser Unfall.
    Scheiße, dachte sie. Das war kein Unfall.
    Der Mars hatte sich erhoben – ein schlafender Hund war erwacht – und hatte ein zweites Leben zerkratzt.
    Erst McIntyre und jetzt Kastor.
    Zwei waren noch übrig: sie und Reynolds.
    Bald würde es nur noch einer sein.
    Und dieser eine würde nicht sie sein.
    Die harten, straffen Flächen des Schutzzeltes umhüllten sie beide. Draußen herrschte eine kalte Marsnacht, aber sie hatte ihren Abendspaziergang schon hinter sich. Nach Sonnenuntergang, sobald das kokonartige Gewebe des Zeltes im Sand stand, pflegte sie allein spazierenzugehen. Als Kastor noch lebte, hatte er diese privaten Streifzüge als ein Zeichen weiblicher Sentimentalität bezeichnet. Sie wußte es nicht. Aber sie wußte, daß sie hoch aufgerichtet auf der Spitze einer Düne stand und aus ihrem blasenförmigen Helm auf die stetige grüne Kugel der Erde starrte. Fünf Minuten stand sie so da und wandte den Blick nur, um zu blinzeln, und schließlich sagte sie ein stummes Lebewohl. Die Menschheit war in den Weltraum vorgedrungen, dachte sie, um ein für allemal zu lernen, wie verflucht bedeutungslos sie eigentlich war. Das war es, was der grüne Stern ihr sagte. Und das sagte ihr auch dies hier: Leben auf dem Mars. Und das sagten McIntyre und jetzt auch Kastor, beide tot und unbeweint, siebzig Millionen Kilometer entfernt von dem, was sie ihr Zuhause nannten. Und sie würde es selbst sagen, wenn sie an die Reihe käme, wenn sie ebenso tot wäre wie die beiden. Wer (oder was), so fragte sie sich, scherte sich auch nur im mindesten um ein einzelnes menschliches Wesen, ob tot oder lebendig oder beides?
    Nein, sie glaubte nicht, daß sie verrückt war. Smith war verrückt, und Kastor wahrscheinlich auch, aber nicht sie. Dies war der Mars, und sie hatte die ganze Zeit gewußt, daß sie hier sterben würde. Es war keine Vorahnung – kein verstohlener Blick in eine mögliche Zukunft. Nein, es war Wissen – es war eine Notwendigkeit. Sie waren hierhergekommen, um etwas über die Lebensbedingungen auf dem Mars zu erfahren, aber jeder von ihnen, ob er es wollte oder nicht, hatte die Todesbedingungen der Erde mitgebracht. Sie wollte nicht sterben. Sie hatte vor dem Ende nicht weniger Angst als andere auch. Aber sie würde gehen. Sie war jetzt bereit. Es konnte heute abend sein oder morgen oder gleich übermorgen. Der exakte Augenblick war unwichtig. Das Leben war vorüber, zu Ende, fertig. Loretta Morgan, wie es sie einmal gegeben hatte, war tot.
    Sie saß nackt neben dem jungen Reynolds. Kastors Tod hatte sie endlich von der nächtlichen Bürde ihrer Kleidung befreit. Nicht daß er es jemals würde bemerkt haben: Sex, so hatte er wahrscheinlich geglaubt, war ein Zeichen für weibliche Sentimentalität. Aber sie hätte es bemerkt.
    „Nun, was meinen Sie?“ fragte Reynolds, sehr bemüht, sich so zu benehmen, als hätte er schon einmal eine nackte Frau gesehen. Sie nahm es ihm auch ab; trotz seines jungenhaften Lächelns und seiner siebenundzwanzig Jahre war Bradley Reynolds ein Mann, dessen natürliche Impulse zu plötzlich an die Oberfläche drangen, als daß er wahre Naivität hätte kennen können. Reynolds mochte gelegentlich unbeholfen sein, aber er war niemals einfältig.
    Sie ließ ihre schweren Brüste ungezwungen herabsinken, als sie sich vorbeugte und die Karte mit einem Finger berührte. „Ich glaube, wir sind verdammt nah. Die Quelle des Lebens müßte hier liegen.“
    „Der Garten Eden“, sagte er; er betrachtete die dicht beschriebene nordöstliche Ecke der Karte.
    Sie lehnte sich zurück. „Nennen Sie es nicht so. Das war Kastors Drang zur Dramatisierung. Das Leben auf dem Mars ist dramatisch genug. Wir brauchen keine PR-Slogans.“
    „Wir vielleicht nicht, aber womöglich die NASA.“ Da war es wieder: schlicht, aber nicht einfältig.
    „Dann nennen Sie es wie Sie wollen.“
    „Wie wär’s mit Agnew Point?“
    „Wofür?“
    „Für die Basis. Agnew war einer von Nixons Vizepräsidenten. Er wurde aus dem Amt gejagt, weil er Schmiergelder angenommen hatte.“
    „Sie interessieren sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher