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Der Bernstein-Mensch

Der Bernstein-Mensch

Titel: Der Bernstein-Mensch
Autoren: Gregory Benford & Gordon Eklund
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wiederholte, soweit sein Gedächtnis es gestattete, Wort für Wort, was Reynolds ihm erzählt hatte. Er versuchte sich vorzustellen, wie Smith ihm oben zuhörte, aber in Wahrheit war er an einem größeren Publikum interessiert. An den Menschen des Planeten Erde. An den Abendnachrichten. Er versuchte, seine Stimme ein wenig dramatisch klingen zu lassen, aber die trockenen Worte wollten sich nicht manipulieren lassen. Dies war ein harter Brocken, das wußte er. Es war Leben. Der marsianische Garten Eden. Auf Fakten reduziert klang die Wahrheit nicht nur langweilig, sondern banal.
    Das Beben brach ohne Vorwarnung aus, so unvermittelt wie ein Blitzschlag. Der Boden schwankte, und Kastor taumelte. Er schlug lang hin und wurde in die Luft geschleudert. Er tastete nach einem Halt und merkte, daß die ganze Welt ins Wanken gekommen war. Er schrie: „O mein Gott, aufhören! Jesus, wir zittern wie …“
    Er sah, wie Morgan stürzte. Reynolds fiel flach über sie. Das Radio hüpfte wie ein energiegefüllter Ball. Kastor warf einen Arm darüber. Er umschlang das Radio. Wenn die Welt um ihn herum zusammenbräche, dann würde er nicht allein sein.
    Ein Gewirr von Stimmen dröhnte in seinen Ohren. Reynolds brüllte. Morgan weinte. McIntyre schrie. „Das ist ein gottverdammtes Erdbeben“, rief Kastor. „Seid still und haltet euch fest!“ Unvorstellbar – er sah, wie eines der Fahrzeuge auf den Rücken geschleudert wurde. Eine Wolke von Staub und Sand bedeckte seinen Helm. Er war blind, begraben. Er tastete nach dem Himmel und merkte, daß er immer noch das Radio umarmte.
    Stille.
    Das Beben hatte aufgehört.
    Kastor streifte die Gesteinsschicht ab, die ihn bedeckte und erhob sich. Versuchsweise bewegte er Arme und Beine. Dann hockte er sich nieder und grub das Radio aus. „Männer“, sagte er leise und justierte den Empfang seines Radios.
    Eine Frauenstimme antwortete: „Jack.“
    „Morgan, wo sind Sie?“
    „Hier, hinter Ihnen.“
    „Oh.“ Er merkte plötzlich, daß er sehen konnte. Er wandte sich um und entdeckte Morgan, die im Sand kauerte. Ein Körper – Reynolds – lag, alle viere von sich gestreckt, unter ihren unförmigen Armen. Kastor ließ das Radio im Stich und eilte hinüber. „Er ist tot.“
    „Das glaube ich nicht“, meinte Morgan. „Vielleicht hat er sich den Kopf an seinem Helm angeschlagen. Drehen Sie Ihr Radio auf. Ich glaube, ich kann ihn atmen hören.“
    Das interessierte Kastor nicht. Sein Blick fiel auf das umgekippte Kriechfahrzeug. Ein großer Teil ihres Gepäcks lag verstreut auf dem Boden: Proviant, Testgeräte und Bündel von Papier. Aus einem gebrochenen Kanister rieselte Wasser hervor und versickerte im Marsboden. Das zweite Fahrzeug war unbeschädigt stehengeblieben.
    Er hörte Morgans Stimme in seinem Radio. „Brad, können Sie aufstehen?“
    Reynolds (matt): „Ja, aber ich blute.“
    Kastor sah McIntyre und stöhnte. Das arme Schwein hatte in dem Fahrzeug gesessen. Als es sich überschlug, war er hinausgeschleudert worden. Eine scharfkantige, schwere Verstrebung hatte seinen Helm zertrümmert. Kastor sah hinunter auf den zerquetschten Schädel, und ihm wurde schlecht. „Mein Gott“, rief er. „Er ist tot.“
     

 
3
     
    Loretta Morgan glaubte, daß sie die furchtbare Feindseligkeit dieses Planeten unterschätzt hatten. Seit dem Tage der Schöpfung hatte der Mars eine Ewigkeit ungestört und passiv geruht. Wir sind wie Flöhe, die durch ein Hundefell krabbeln, dachte sie. Vielleicht zuckt der Mars und schüttelt uns ab.
    Sie dachte daran, wie sie den armen McIntyre begraben hatten – sie hatten seinen Leichnam versiegelt wie einen ihrer Müllsäcke, um jede Möglichkeit der Verunreinigung zu verhindern. Kastor hatte sie ein eiskaltes Biest genannt, weil sie sich weigerte zu trauern. Sie hätte ihm ins Gesicht lachen können. In ihren Augen war das Leben ein Geschenk, und zu weinen, weil es nicht mehr da war, wäre genauso, wie wenn ein verzogenes Gör quengelt, weil der Weihnachtsmann nur vier Geschenke statt der erwarteten fünf gebracht hatte. Wir sind zum Mars gekommen, auf den wir nicht gehören, dachte sie, und deshalb werden wir alle sterben. Wir haben nicht das Recht, irgend etwas von diesem kalten Universum zu erwarten, und das gilt auch für das kostbare Geschenk des Lebens selbst.
    Der Gedanke an das Leben ließ sie auch an den Tod denken. Und bei dem Gedanken an den Tod dachte sie an den armen McIntyre. Und mit McIntyre war sie gleich wieder bei Colonel
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