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Der Bär

Der Bär

Titel: Der Bär
Autoren: Jacques Berndorf
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gewesen sein oder sogar gelogen. Aber vieles stimmt einfach, wie ich später Stück für Stück selbst herausfand. Zu Wesendonker muss ich sagen, dass er als Steuereintreiber beliebt war, obwohl man das gar nicht für möglich halten kann. Aber er war so, er ließ fünf schon mal gerade sein, er wartete schon mal ein paar Monate, auch wenn es drängte. Ich habe ja nichts von dem Liebesbrief gewusst, den er der Hansen geschrieben hat. Und es stimmt: Es ist tragisch, dass die Hansen diesen Brief niemals bekam. Denn der Grund, weshalb Wesendonker über Nacht aus Gerolstein fortgeschafft wurde, lag in einem Brief. Und zwar schrieb die Maria Hansen ihrem früheren Ehemann einen Brief mit der Bitte, ihr zu vergeben. Und darin schrieb sie von Dingen, die dieser Mann eigentlich nicht wissen durfte. Und diesen Brief habe ich hier.«
    »Wie sind Sie denn daran gekommen?«, fragte Esther. »Auch geklaut?«
    »Nein. Der Brief wurde meinem Urgroßonkel von Hansen selbst überreicht. Hansen war blamiert worden, ihm war die Frau abgehauen. Und jetzt erfuhr er zum ersten Mal schwarz auf weiß, mit wem sie eigentlich hatte durchbrennen wollen. Und der Bauer Hansen, der später übrigens an die Mosel ging, war als jähzorniger Mann bekannt. Wesendonker hätte das nicht überlebt, er musste aus Gerolstein herausgebracht werden. Hier ist das kostbare Stück.« Er hielt einen vergilbten Umschlag in den Händen, öffnete ihn behutsam, zog die Papierbögen heraus und hielt sie hoch. »Sie kann kein Wort richtig schreiben, aber was sie schreibt, ist starker Tobak. Sie muss eine ungeheure Wut auf Wesendonker gehabt haben. Sie schreibt ohne Anrede einfach drauf los. Das hört sich so an:
    Ich will mich noch mal melden, ein letztes Mal. Ich hin weit weg, und Du kannst mich nicht mehr erreichen. Du kannst mich auch nicht mehr bestrafen. Du kannst mich auch nicht mehr schlagen. Du wirst sehen, dass der Brief aus Amerika kommt, und in diesem riesigen Land wirst Du mich niemals finden. Ich habe diesen Brief einem Bekannten mitgegeben, der ihn tausend Meilen entfernt auf die Post tragen wird. Such mich also nicht, denn ich trage auch nicht mehr Deinen Namen.
    Ich schreibe Dir, weil ich Dich um Verzeihung bitten will. Eine gute Frau rennt ihrem Mann nicht weg. Ich bin keine gute Frau, ich weiß auch nicht, was eine gute Frau ist. Ich musste raus aus diesem Hexenhof, ich wollte weiterleben. Und dann kam dieser Steuerkassierer Karl-Heinrich Wesendonker, vor dem Du Dich immer im Heu oder auf dem Kornboden versteckt hast. Ja, es stimmt, ich habe ihm gehört, viele, viele Male. Ich muss auch zugeben, dass ich ihn geliebt habe. Er hat mir die Schiffsreise in dieses Land bezahlt, er hat mir eine Kennkarte auf einen anderen Namen geschenkt, er hat gesagt, er geht mit mir nach Amerika, er lebt mit mir und hat vielleicht Kinder mit mir. Er hat gesagt, mein ganzes Leben wird anders sein, ich werde mich sicher fühlen, ich werde seine richtige Ehefrau. Namen sind in diesem Lande Schall und Rauch.
    Er ist nicht gekommen, und ich weiß nicht, warum er nicht gekommen ist. Er hatte wohl nur seinen Spaß im Sinn, er hat mich gebraucht, so wie Du damals die Magd gebraucht hast, die wir mal hatten, fetzt habe ich einen Mann, der mich heiraten wird und der sagt, ich gehöre zu ihm. Er ist ruhig und schlägt mich nicht und zwingt mich nie zu Sachen, die ich nicht machen will. Ich bitte Dich, mir zu verzeihen, wenn Du das kannst.
    Ich werde nie mehr zurückkehren, denn ich lebe in einem Blockhaus, wie man das hier nennt: ein großes Haus, ganz aus Holz mit sechs Räumen. Wir haben schöne Petroleumlampen in jedem Zimmer. Und in jedem Zimmer steht ein Ofen aus Eisen. Und wir werden im nächsten Sommer ein Haus aus Stein bauen, und ich glaube, ich werde ein Kind kriegen. Du kannst Dir nicht vorstellen, wieviel Angst ich davor hatte, ein Kind von Dir zu kriegen.
    Auf unseren Weiden stehen jetzt hundertzwanzig Stück Vieh und im nächsten fahr werden es doppelt oder dreimal so viel sein. Im Frühling, wenn die Weiden erstmalig blühen, wird ein Pfarrer kommen, der uns trauen wird, denn eine Kirche haben wir noch nicht und wenn wir einen Nachbarn besuchen wollen, so sind wir gute sechs Stunden mit dem Pferd unterwegs. Dies ist ein großes Land, und wir haben so viel davon, dass wir vier Stunden stramm reiten müssen, wenn wir einmal rundkommen wollen.
    Ich bitte unseren Herrgott jeden Tag, mir zu vergeben. Und vielleicht vergibt er mir, wenn ich dann zu ihm komme und meine
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