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Der Bär

Der Bär

Titel: Der Bär
Autoren: Jacques Berndorf
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aus fuhr. Sie haben ihn blitzschnell und heimlich aus dem Land geschafft. Aber weshalb und wohin? Wieso macht der Dr. Xaver Manstein keine Bemerkung dazu? Eines ist sicher: Der Richter Severus Brandscheid schrieb ihm einige Monate später einen Brief. Von der Ostsee, aus Bad Doberan, damals höchst modern und beliebt bei den reichen Leuten in Berlin. Er schreibt, er sei überaus glücklich mit seiner Frau, einer gewissen Eulalia Schnigger und ... «
    »Großer Gott, auch die Frau hat den Namen des Michel Schneider angenommen«, hauchte ich. »Das ist dreist, das ist wirklich das Dreisteste, was man sich vorstellen kann.«
    »Es kommt noch dreister«, grinste Rodenstock. »Er meldet vergnügt die Geburt von Zwillingen, zwei Mädchen. Und erteilt mit, seine Stellung dort als Chef des Amtsgerichtes sei keineswegs langweilig, sondern eher belustigend, weil die Anwohner des dortigen Landstrichs ähnliche Querköpfe seien wie die Eifler. Und er schreibt, die Geschichte mit Karl-Heinrich Wesendonker sei urkomisch und nicht zu glauben. Aber er schreibt nicht, warum das so ist, verdammt noch mal.«
    »Also, eine der Liebesgeschichten endet schon mal gut«, murmelte Emma befriedigt. »Das ist hundert Prozent mehr als der normale Durchschnitt.«
    »Also was nun?«, fragte ich.
    »Zu diesem Landwirt Gustav Mehring«, bestimmte Rodenstock. »Ich melde uns an. Der Karl-Heinrich Wesendonker darf uns nicht verlorengehen, schließlich schrieb er den schönsten Liebesbrief meiner beruflichen Laufbahn. Er rühmte Eros, er rühmte die Wärme der Frau.« Leise lachend ging er hinaus.
    Es dauerte nicht einmal dreißig Sekunden, bis er wieder in die Küche stürmte. »Der alte Herr liegt im Sterben. Der Sohn sagt, wir können kommen, aber er weiß nicht, ob der alte Mann mit uns reden will. Wir müssen es versuchen.«
    Wir fuhren eine Viertelstunde später: Emma, Rodenstock, Esther und ich. Es hatte keinen Sinn, Tessa jetzt aufzutreiben, sie würde bei Ingbert sein und bestürzt vernehmen, dass er im Grunde gar nicht vorhatte, sie zu heiraten. Als wir in Gerolstein den Berg hochfuhren, sagte Rodenstock inbrünstig: »Manchmal kommt es vor, dass Sterbende in den letzten Stunden hellsichtig werden und erstaunlich klar sind.«
    Es war ein altes Bauernhaus am linken Hang. Es war einer jener kleinen Bauernhöfe, die ihre Funktion längst verloren hatten und jetzt wahrscheinlich auf die Erben warteten, um umgebaut zu werden. Der Sohn des Gustav Mehring war ein stämmig gebauter Typ mit rabenschwarzen Haaren und ungewöhnlich hellen Augen.
    Er lächelte leicht: »Also, es ist so, dass mein Vater noch Tage leben kann. Kann aber sein, dass er in fünf Minuten für immer einschläft. Als ich ihm gesagt habe, dass Sie kommen, wurde er richtig lebendig.« Er lachte leise. »Er ist schon ein Teufelsbraten. Na, kommen Sie mal. Ich weiß ja nicht, ob er Sie alle vier sehen will, aber das muss man ausprobieren.«
    Es ging durch einen Flur, eng und dunkel, in ein geräumiges Schlafzimmer, in dem nur ein großes, altes Bett aus Eiche stand - für die Ewigkeit gebaut. Da lag der alte Gustav Mehring in schneeweißen Kissen und hatte ein Gesicht mit durchaus jugendlicher, weicher Haut und sehr hellen, wachen Augen.
    Wir gingen überflüssigerweise auf Zehenspitzen, denn er sagte erstaunlich klar und bestimmt: »Lasst das mal, ich habs gern etwas lauter. Sind Stühle genug da? Nicht genug. Holst du noch zwei?«
    Der Sohn verschwand und kehrte mit zwei Stühlen zurück. Dann saßen wir bei ihm wie gehorsame Schüler vor ihrem Lehrer. Der Sohn stand am Fenster.
    »Wenn ihr rauchen wollt, dürft ihr rauchen«, sagte der Alte. Und dann: »Was wollt ihr denn?«
    »Sie haben Unterlagen, Herr Mehring«, begann Rodenstock. »Wir kümmern uns um den Mord an Tutut am 24. August 1888, einem Freitag.«
    »Wer kümmert sich denn um so was?«, fragte er mit einem völlig unbewegten Gesicht. »Wir und Sie«, sagte Rodenstock sanft. »Was sind das für Unterlagen?«
    »Eine Menge, junger Mann, eine Menge. Wir können drüber reden, aber ich gebe sie nicht raus.«
    »Aber warum nicht?«
    »Ich will das nicht«, stellte er fest. »Was wollen Sie denn wissen?«
    »Wohin Karl-Heinrich Wesendonker verschwand, als er fluchtartig nach Euskirchen gebracht wurde. Und warum er verschwand. Und wo er dann lebte. Und wann er starb. Ferner wüssten wir gern, wer Tutut erschlug und wer alles dabei war. Nach unseren bisherigen Feststellungen können sieben Männer bei der Tat anwesend gewesen
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