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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit
Autoren: Leif Davidsen
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Geschwindigkeit drosselte und die kleine Bucht ansteuerte. Es war ein zwanzig Fuß langes, glänzend weißes Motorboot mit schmucken, schlanken Konturen. Auf dem Vordeck lag eine junge Frau, die lediglich mit einer schwarzen Ray-Ban-Sonnenbrille bekleidet war. Der Mann stand mit nacktem Oberkörper am Steuer und beobachtete die Wassertiefe auf dem Echolot. So nah an der Küste konnte es verräterische Klippen und Felsspitzen geben, aber das Motorboot hatte keinen großen Tiefgang. Oder er wußte, wie er die Enge zwischen den beiden Riffen befahren mußte. Letzteres traf zu, wie mir meine Informanten gesagt hatten.
    Ich lebte von der unersättlichen Neugier der Menschen auf die Blamage berühmter und reicher Leute. Obwohl ich zwanzig Jahre Erfahrung mit der Gefräßigkeit und Machtgier moderner Menschen habe, wundert es mich noch immer, daß so viele wichtige Männer bereit waren, Karriere, Ehe und Position zu opfern, um Sex zu haben, und sich ihrer Unverwundbarkeit so sicher waren, daß sie ohne weiteres ein derart großes Risiko eingingen. Um nicht die Gelegenheit zu verpassen, sich als Männer zu beweisen. Wußten sie denn nicht, daß es bei jedem Geheimnis auch einen Menschen gab, der dieses Geheimnis zu verkaufen bereit war?
    Ich war infolge eines Tips, der einige Wochen zurücklag, hier an der Costa Brava gelandet. So war es immer. Meine vielen Informanten und Kontakte, die ich bezahlt, gepflegt, bewirtet, gelobt, aufgebaut, geschmiert und deren Ego ich gefestigt hatte, waren wie ein weitverzweigtes Nachrichtennetz, das mich über das Tun und Lassen bekannter Leute auf dem laufenden hielt.
    Sie nannten mir das Ziel und gaben mir die nötigen Rohdaten, mit denen ich dann selber für die Logistik im Felde sorgen, das Gelände erkunden und den Hit vorbereiten mußte. Es hatte mich die vergangenen vierzehn Tage gekostet, um das Ziel, das sich hier in der Unschuld seiner Unwissenheit der Küste näherte, zu treffen. Bis hin zum Namen des Bootes waren die Informationen besonders präzise gewesen. Wenn eine neue Regierung antritt, nachdem die alte die Freuden der Macht lange Jahre genossen hatte, sollte sie sich ein wenig sorgfältiger umschauen.
    Besonders wenn die neue Regierung auf Gott, König und Vaterland setzt und die Fahne der Moral so hoch hebt, daß sie die Bodenhaftung verloren hat. »Wirf nicht den ersten Stein, mein Freund«, sagte ich halblaut in dänischer Sprache, die ich nach wie vor als die meine empfand, obwohl ich sie seit Jahren nur mit mir selbst und meist nur im Kopf gesprochen hatte.
    Englisch war fürs Geschäft, Spanisch für die Liebe und Dänisch für die innersten, heimlichen Gedanken, die eine tiefe Kenntnis der jedem Wort innewohnenden Nuancen erforderte. Wo nicht das Gesagte zählt, sondern die Art, wie es gesagt und gedacht wird. Die Dänen sind ein kleiner Stamm am äußersten Rand der bekannten Welt, und ihr gemeinsames Stammeszeichen ist die Sprache. Die Dänen erkennen sich an der Sprache. Ausländer sprechen mit Akzent, richtige Dänen mit Dialekt. Wir erkennen uns an den nörgeligen Untertönen hinterhältiger Ironie unserer Muttersprache. Durch die unübersetzbaren Nuancen der Sprache, die von einem unausgesprochenen gemeinsamen Verständnis und ebensolcher Ironie getragen werden.
    Der Mann manövrierte das Boot sicher an die Küste. Das Motorengeräusch verklang, und das Boot trieb langsam die letzten Meter, bis der Mann den Anker warf und es gegen die Strömung schwenken ließ. Ich hob den neuen Apparat, ein Wunder computergesteuerter Technologie.
    Ich wußte, daß ich richtig gewählt hatte, als ich mich für das 400-mm-Tele entschieden hatte. Ich sah die beiden deutlich im Sucher. Sie war wohl Anfang Zwanzig mit einem glatten, braunen Körper, auf dem die schwarzen Schamhaare in der Sonne glänzten. Sie war gut gebaut, weder zu dünn noch zu dick. Sie erinnerte mich an jemanden, aber ich konnte sie nicht einordnen. Derlei makellose Frauenkörper tourten von St. Tropez bis Marbella. Sie zogen reiche, mächtige Männer mittleren Alters an, wie verfaultes Fleisch Fliegen anzieht.
     
    Durch die scheinbar einwandfreie, ewig junge Schönheit dieser Mädchen vergaßen die Männer den Verfall ihres eigenen Körpers. Schmerzvolle Erfahrungen hatten die jungen Frauen noch nicht gemacht, sie glaubten, der Verfall werde sie nie treffen. Ich drückte meinen schweißigen, aber ruhigen Zeigefinger auf den Auslöser, ließ den Motor laufen und nahm eine schnelle Serie auf, bevor ich noch
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