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Der Auftraggeber

Der Auftraggeber

Titel: Der Auftraggeber
Autoren: Daniel Silva
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sich für das Fenster seines Zimmers, von dem aus er freien Blick über den Fluß hatte. In dem zum Haus gehörenden Lagerschuppen fand er einen uralten Zeiss-Feldstecher; im Dorfladen kaufte er sich ein kleines Notizbuch und einen Kugelschreiber, um ein Überwachungsprotokoll führen zu können.
    Als erstes fiel Peel auf, daß der Fremde eine Vorliebe für alte Dinge hatte. Sein Wagen war ein Oldtimer, ein altes MG-Cabrio. Von seinem Fenster aus beobachtete Peel, wie er stundenlang an dem Motor arbeitete, wobei nur sein Rücken unter der Motorhaube sichtbar war. Ein Mann mit großem Konzentrationsvermögen, folgerte Peel. Ein Mann mit großer mentaler Ausdauer.
    Nach einem Monat verschwand der Fremde. Einige Tage verstrichen, dann eine Woche, dann vierzehn Tage. Peel fürchtete, der Fremde habe ihn entdeckt und die Flucht ergriffen. Da er sich ohne die Routine der Überwachung dumm und dämlich langweilte, geriet Peel in Schwierigkeiten und wurde dabei erwischt, wie er ein Fenster einer Teestube im Dorf einwarf. Derek verurteilte ihn zu einer Woche Einzelhaft auf seinem Zimmer.
    An diesem Abend gelang es Peel jedoch, heimlich mit seinem Feldstecher aus dem Haus zu schlüpfen. Er ging den Kai entlang, an dem dunklen Haus des Fremden und der Austernfarm vorbei, blieb an der Landzunge stehen, wo ihr kleiner Fluß in den Helford River mündete, und beobachtete die mit der Flut zurückkommenden Segelboote. Dann sah er eine Ketsch, die mit Hilfsmotor hereinkam. Er hob den Feldstecher an seine Augen und studierte die Gestalt, die am Ruder stand. Der Fremde war nach Port Navas zurückgekehrt.
    Die Ketsch war alt und mußte dringend überholt werden, und der Fremde setzte sie mit der gleichen Sorgfalt instand, mit der er seinen launischen MG überholt hatte. Er arbeitete jeden Tag mehrere Stunden an seinem Boot, schliff, lackierte, strich, polierte Messing und wechselte Beschläge, Leinen und Segel aus. Bei warmem Wetter arbeitete er mit nacktem Oberkörper. Peel mußte den Körper des Fremden unwillkürlich mit dem Dereks vergleichen. Derek war weich und dicklich; der Fremde war kompakt und durchtrainiert - die Art Mann, bei der man es rasch bereuen würde, sich mit ihm angelegt zu haben. Ende August war seine Haut fast so dunkel geworden wie der Firnis, mit dem er das Oberdeck der Ketsch so gewissenhaft einließ.
    Zwischendurch war er immer wieder tagelang mit dem Boot unterwegs. Peel hatte keine Möglichkeit, ihm zu folgen. Er konnte sich nur ausmalen, wohin der Fremde segelte. Durch die Helford Passage auf See hinaus? Um Lizard Point herum nach St. Michael's Mount oder Penzance? Vielleicht ums Kap herum nach St. Ives?
    Dann kam Peel auf eine andere Möglichkeit. Cornwall war für seine Piraten berühmt; tatsächlich gab es in diesem Gebiet bis heute nicht wenige Schmuggler. Vielleicht fuhr der Fremde mit seiner Ketsch auf See hinaus, um von Frachtern Schmuggelware zu übernehmen und an Land zu bringen.
    Als der Fremde beim nächsten Mal von einem seiner Segeltörns zurückkam, hielt Peel gewissenhaft an seinem Fenster Wache, weil er hoffte, ihn dabei zu ertappen, wie er Schmuggelware an Land schaffte. Aber als er vom Bug der Ketsch auf die Pier sprang, hielt er außer einem kleinen Rucksack und einem Müllsack aus Plastikfolie nichts in den Händen.
    Der Fremde segelte zum Vergnügen, nicht um damit Geld zu verdienen.
    Peel zog sein Notizbuch aus der Tasche und strich das Wort Schmuggler durch.
    Das große Frachtstück traf in der ersten Septemberwoche ein: eine flache Holzkiste, fast so groß wie ein Scheunentor. Sie kam in einem Möbelwagen aus London und wurde von einem aufgeregten Mann in Nadelstreifen begleitet. Von da ab verliefen die Tage des Fremden im umgekehrten Rhythmus. Nachts war das Obergeschoß seines kleinen Hauses strahlend hell erleuchtet - nicht mit gewöhnlichem Licht, beobachtete Peel, sondern mit sehr hellem, reinweißem Licht. Ging Peel morgens zum Schulbus, sah er den Fremden mit seiner Ketsch auslaufen, an seinem alten MG arbeiten oder mit abgewetzten Trekkingstiefeln aufbrechen, um die Wanderwege entlang der Helford Passage abzulaufen. Peel vermutete, daß er nachmittags schlief, obwohl er den Eindruck eines Mannes machte, der lange ohne Schlaf auskommen konnte.
    Peel fragte sich, was der Fremde die ganzen Nächte lang trieb. Spät an einem Abend beschloß er, sich die Sache aus der Nähe anzusehen. Er zog Pullover und Jacke an und verließ heimlich das Haus, ohne sich bei seiner Mutter
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