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Der Auftraggeber

Der Auftraggeber

Titel: Der Auftraggeber
Autoren: Daniel Silva
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abzumelden. Dann stand er am Kai und sah zum Haus des Fremden auf. Die Fenster standen offen, und er nahm einen in der Luft hängenden stechenden Geruch wahr, etwas zwischen medizinischem Alkohol und Petroleum. Und er hörte undeutlich Musik - Gesang, vielleicht eine Oper.
    Als Peel gerade näher ans Haus herangehen wollte, fühlte er eine schwere Hand auf seiner Schulter. Er fuhr herum und sah Derek mit in die Hüften gestemmten Armen und wütend zusammengekniffenen Augen über sich aufragen. »Scheiße, was zum Teufel tust du hier?« fragte Derek. »Deine Mutter macht sich schreckliche Sorgen um dich!«
    »Warum hat sie dich geschickt, wenn sie sich solche Sorgen macht?«
    »Antworte mir, Junge! Warum treibst du dich hier draußen herum?«
    »Geht dich nichts an!«
    Im Dunkeln sah Peel den Schlag nicht kommen: ein kräftiger Hieb mit der flachen Hand gegen seine linke Kopfseite, von dem ihm die Ohren dröhnten und der seine Augen sofort tränen ließ.
    »Du bist nicht mein Vater! Dazu hast du kein Recht!«
    »Und du bist nicht mein Sohn, aber solange du unter meinem Dach lebst, tust du, was ich sage.«
    Peel wollte weglaufen, aber Derek packte ihn grob am  Jackenkragen und hob ihn hoch.
    »Laß mich los!«
    »Nein, du kommst mit nach Hause.«
    Derek machte ein paar Schritte, dann blieb er plötzlich stehen.
    Peel verrenkte sich den Hals, um sehen zu können, was los war.
    Der Fremde stand mitten auf dem Weg - die Arme vor der Brust verschränkt, den Kopf leicht zur Seite geneigt.
    »Was wollen Sie?« knurrte Derek.
    »Ich habe Lärm gehört. Ich dachte, es könnte ein Problem geben.«
    Peel fiel auf, daß dies das erste Mal war, daß er den Fremden hatte sprechen hören. Sein Englisch war perfekt, aber er sprach mit ganz leichtem Akzent. Seine Ausdrucksweise glich seinem Körper: hart, kompakt, präzise, ohne Fett.
    »Kein Problem«, sagte Derek. »Nur ein Junge, der ist, wo er nicht sein sollte.«
    »Vielleicht sollten Sie ihn wie einen Jungen, nicht wie einen Hund behandeln.«
    »Und vielleicht sollten Sie sich um Ihren eigenen Scheiß kümmern.«
    Derek ließ Peel los und starrte den kleineren Mann aufgebracht an. Einen Augenblick lang fürchtete Peel, Derek werde eine Schlägerei anfangen. Er erinnerte sich an die straffen, harten Muskeln des Fremden; an den Eindruck, dieser Mann verstehe sich darauf zu kämpfen. Das schien auch Derek zu spüren, denn er packte Peel wortlos am Ellbogen und führte ihn zu ihrem Haus zurück. Als Peel sich unterwegs einmal umsah, stand der Fremde noch immer mit verschränkten Armen wie ein stummer Wächter auf dem Weg. Aber als Peel in sein Zimmer zurückkam und aus dem Fenster spähte, war der Fremde verschwunden. Drüben war nur das Licht zu sehen: reinweiß und sehr hell.
    Im Spätherbst war Peel frustriert. Er hatte nicht einmal die grundlegenden Tatsachen über den Fremden in Erfahrung gebracht. Er wußte weder seinen Namen oh, er hatte im Dorf von zwei möglichen Namen flüstern hören, die beide vage südländisch klangen -, noch hatte er entdeckt, woran der Fremde Nacht für Nacht arbeitete. Peel gelangte zu dem Schluß, nun sei ein Crashunternehmen notwendig.
    Als der Fremde am nächsten Morgen in seinen MG stieg und in Richtung Dorfmitte davonraste, hastete Peel den Kai entlang und kletterte durch ein zum Garten hin offenes Fenster ins Haus.
    Als erstes fiel ihm auf, daß der Fremde das Wohnzimmer als Schlafzimmer benutzte.
    Er stieg rasch die Treppe hinauf. Ein Schauder durchlief seinen Körper.
    Die meisten Zwischenwände im Obergeschoß waren rausgerissen worden, um einen einzigen lichten Raum zu schaffen. In seiner Mitte stand ein großer weißer Tisch, an dessen Seite ein Mikroskop an einem langen ausfahrbaren Arm montiert war. Auf einem anderen Tisch standen durchsichtige Glasflaschen mit Chemikalien - vermutlich die Quelle der seltsamen Gerüche. Neben den Flaschen lagen zwei eigenartig aussehende Lupenbrillen. Ein hoher, verstellbarer Lampenständer trug mehrere Reihen weißer Leuchtstoffröhren, die für das grelle Licht im Obergeschoß dieses Hauses verantwortlich waren.
    Auf weiteren Tischen lagen alle möglichen Werkzeuge, die Peel nicht kannte, aber diese Dinge waren nicht schuld an seiner Beunruhigung. Auf zwei stabilen Holzstaffeleien standen zwei Ölgemälde. Das eine war riesig, schien ziemlich alt zu sein und zeigte irgendeine religiöse Szene. An zahlreichen Stellen hatte die Farbe sich von der Leinwand abgelöst. Auf der zweiten Staffelei stand ein
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