Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter

Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter

Titel: Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
Vom Netzwerk:
hin- und herwippend im Takt der Verse, die Augen geschlossen, und Polyphem sagte, er habe ihn mit Valium vollgestopft, dann, ein Bild ausschneidend, wie ihr sein Material gefallen habe, ein Video auf 16-mm-Film übertragen, eine Frage, auf die sie keine Antwort wußte, er schaute sie an, gleichgültig, kalt, was er Wirklichkeit nenne, sei inszeniert, sagte sie, worauf er, das Einzelbild betrachtend, das er aus dem Filmband geschnitten hatte, antwortete, ein Spiel werde inszeniert, die Wirklichkeit könne nicht inszeniert, sondern nur sichtbar gemacht werden, er habe die Sörensen sichtbar gemacht, wie eine Raumsonde die noch aktiven Vulkane eines Jupitermondes sichtbar gemacht habe, worauf sie sagte, Sophisterei, und er, die Wirklichkeit sei nicht sophistisch und dann, wie alles wieder erzitterte und es erneut von der Decke rieselte, wollte sie wissen, warum er Achilles einen idiotischen Gott genannt habe, eine Frage, die er damit beantwortete, er nenne ihn so, weil Achilles wie ein von seiner Schöpfung infizierter Gott handle, der seine Geschöpfe vernichte, die Dänin sei nicht ein Geschöpf des Idioten, warf sie zornig ein, um so schlimmer für Gott, entgegnete er ruhig und auf ihre Frage, ob es hier geschehen solle, sagte er, nein, auch nicht bei der Al-Hakim-Ruine, die seien von den Satelliten zu beobachten, das Porträt über die Dänin weise Mängel auf, das Porträt über sie werde sein Meisterwerk, er habe den Ort schon ausgewählt, sie solle ihn und Achilles nun allein lassen, Achilles könnte wach werden und er habe zu packen, in der Nacht brächen sie auf, er nehme sie mit, und die Filme und Fotos um derentwegen man ihn jage, er verlasse 73

    diese Station für immer, darauf wandte er sich wieder seinem Filmband zu, während es ihr nicht bewußt wurde, daß sie ihm gehorchte, daß sie in ihre Zelle ging, sich aufs Jugendstilbett oder auf die Couch legte, so gleichgültig war es ihr, was sie tat, war es doch unmöglich zu fliehen, er war wieder nüchtern geworden und bewaffnet, Achilles konnte erwachen und immer wieder erzitterte die Station und wenn sie auch hätte fliehen wollen, wußte sie nicht, ob sie fliehen wollte, sie sah das Gesicht der Jytte Sörensen vor sich, lustverzerrt, und dann, wie die riesigen Hände ihre Kehle umschlossen, auf einen Moment, bevor es sich entstellte, stolz, triumphierend, willig, die Dänin hatte alles gewünscht, was ihr widerfuhr, die Vergewaltigung und den Tod, alles andere war nur ein Vorwand gewesen und sie, sie hatte den Weg zu Ende zu gehen, den sie gewählt hatte, ihrer Wahl zuliebe, ihrem Stolz, sich zuliebe, ein lächerlicher und dennoch unerbittlicher Zirkelschluß der Pflicht, aber war es die Wahrheit, die Wahrheit über sich selber, die sie suchte, sie dachte an ihre Begegnung mit von Lambert, sie hatten seinen Auftrag gegen ihren Instinkt angenommen, von einem vagen Plan hatte sie sich in einen noch vageren geflüchtet, nur um etwas zu unternehmen, weil sie sich in einer Krise befand, sie dachte an ihr Gespräch mit D., er war zu höflich gewesen ihr abzuraten und wohl auch zu neugierig, wie das alles enden solle, von Lambert könne ja noch einmal einen Helikopter schicken, er war noch einmal der Schuldige, dachte sie und mußte lachen, dann sah sie sich im Atelier, vor dem Porträt, es war wirklich jenes der Jytte Sörensen, aber sie hatte sich zu spät umgewandt, es mußte Tina gewesen sein, die den Raum verlassen hatte und sicher war der Regisseur ihr Geliebter, sie war nahe der Wahrheit gewesen, aber hatte ihr nicht nachgespürt, die Verlockung, nach M. zu fliegen, war zu groß, aber auch dieser Flug war vielleicht nur eine Flucht gewesen, aber eine Flucht vor wem, fragte sie sich, vor sich selber, möglich, vielleicht hielt sie sich 74

    selber nicht aus und die Flucht bestand darin, daß sie sich treiben ließ, sie sah sich als Mädchen, an einem Bergbach stehen, bevor er sich über eine Felswand in die Tiefe stürzte, sie hatte sich vom Lager entfernt und ein kleines Papierschiff in den Bach gesetzt, war ihm dann gefolgt, bald wurde es von diesem Stein aufgehalten, bald von jenem, doch immer wieder befreite es sich und nun trieb es unaufhaltsam dem Wasserfall entgegen, und sie schaute zu, das kleine Mädchen, unbändig vor Freude, denn sie hatte das Schiffchen mit all ihren Freundinnen besetzt, auch mit ihrer Schwester, mit ihrer Mutter und ihrem Vater und mit dem sommersprossigen Jungen in ihrer Klasse, der später an Kinderlähmung starb, mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher