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Der Aufstand

Der Aufstand

Titel: Der Aufstand
Autoren: Sean McCabe
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sie nicht allein. Sie stieg gerade in einen schwarzen Rolls-Royce ein, der mit laufendem Motor am Straßenrand stand. Die Tür schloss sich hinter ihr, und der große Wagen fuhr los.
    Dec folgte ihm ein paar Kilometer weit, während der Nebel immer dichter wurde. Er konzentrierte sich so sehr darauf, an dem Rolls dranzubleiben, dass er allmählich die Orientierung verlor, zumal sie sich nun auf kleinen, kurvigen Wegen weitab seiner üblichen Strecken bewegten. Nach einer Weile blinkte der Rolls links und fuhr durch ein hohes Tor. Hinter ihm schlossen sich automatisch die Torflügel, und Dec blieb zurück.
    Er stellte den Wagen am Straßenrand ab. Es war verdammt kalt geworden. Sein Atem bildete kleine weiße Wölkchen vor seinem Mund, als er zum Tor ging und die Hand über die kalten schmiedeeisernen Gitterstäbe gleiten ließ. Sein Blick wanderte nach oben.
    Zwei riesige Vögel spähten aus den Nebelschwaden auf ihn herab. Er starrte hoch zu ihren gekrümmten Schnäbeln und großen Flügeln, zuckte zusammen und erkannte erst mit Verzögerung, dass es sich um Statuen handelte, die auf die Torpfosten montiert waren. Und dennoch erzeugte die Art, wie ihre Augen sich in ihn zu bohren schienen, ein merkwürdiges Unbehagen. Dec wandte den Blick von ihnen ab und entdeckte ein mattiertes bronzenes Schild auf der Mauer. Um es lesen zu können, musste er erst einen Teil des Mooses abreißen, das sich über die Mauersteine ausgebreitet hatte.
    CROWMOOR HALL
.
    Was war das für ein Ort? Ein altes Herrenhaus, in dem jetzt irgendein Neureicher wohnte? Was hatte Kate hier verloren?
    Sieh den Tatsachen ins Auge, Dec. Du bist einfach nicht ihr Niveau. Sie ist die Tochter eines Rechtsanwalts, und du bist nur ein kleiner Autoschrauber wie dein Dad.
    Er wollte schon wieder zum Auto zurück, als ihn plötzlich das starke Bedürfnis überwältigte, Kate die Meinung zu sagen. Er konnte nicht zulassen, dass es so endete.
    Er zog sich an der hohen Mauer hinauf.

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 4
    Jericho, North Oxford
    J oel Solomon fuhr hoch und rang keuchend nach Luft. Einen Augenblick lang hatte das nächtliche Entsetzen ihn noch im Griff, dann merkte er, wo er sich befand. Er war im Hier und Jetzt, zu Hause in seiner Erdgeschosswohnung in der ruhigen Straße am Stadtrand. Er lag im Bett. Alles war in Ordnung.
    Die Leuchtziffern seines Weckers verrieten ihm, dass es 0 . 34 Uhr war. Er rieb sich das Gesicht und blinzelte die Überreste seines Albtraums weg. Als sein Herz endlich aufhörte, wie wild zu pochen, legte er den Kopf zurück aufs Kissen und schloss die Augen.
    Aber er konnte nicht wieder einschlafen, nicht nach diesem Traum.
    Ich werde mich verwandeln
, klang ihm die Stimme seines Großvaters im Ohr.
    Er hatte diese Erinnerungen nie wieder durchleben wollen. Im Alter von fünfzehn – nach drei Jahren Psychotherapie und Hypnose – hatte er geglaubt, sie für immer los zu sein. Und nun war sein Albtraum zurückgekehrt. Wie aus dem Nichts. Schon zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage.
    Joels Finger ballten sich unter der Bettdecke zu Fäusten. Die Jahre hatten den Bildern und ihrer entsetzlichen Lebendigkeit nichts anhaben können. Noch immer sah er ganz deutlich vor sich, wie die Klinge des Säbels seitwärts nach unten fuhr, und noch immer spürte er dieses furchtbare Knirschen, mit dem der scharfe Stahl Knorpel und Knochen durchtrennte.
    Er atmete tief durch. Es ist nicht wirklich geschehen, redete er sich ein. Du hast es dir nur eingebildet. Du warst in einem Schockzustand. Das Gehirn spielt einem manchmal seltsame Streiche; da stellt man sich alles Mögliche vor.
    Genau das zu glauben hatten die Ärzte ihm eingeredet – dass es gar keine Ungeheuer gab, die im Dunkeln auf ihn lauerten. Dass das einzig Böse in dieser Welt vom Menschen ausging. Wie etwa von dem psychopathischen Mörder, der in jener Nacht in das abgelegene Landhaus eingefallen war und diese schrecklichen Dinge getan hatte. Und dass Joel den Säbel überhaupt nur einmal berührt habe – als der alte Mann ihn damit hatte spielen lassen.
    Dass der Rest nur die Schutzphantasie eines schwer traumatisierten Kindes war.
    Auch wenn es lange gedauert hatte, war es ihm am Ende doch gelungen, den Worten von Logik und Vernunft zu trauen. Er hatte begonnen, den Männern und Frauen in den weißen Kitteln zu glauben. Hatte die Worte, die sie ihm wieder und wieder eingetrichtert hatten, übernommen wie ein Mantra.
    In diesem Augenblick aber war er sich nicht mehr so
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