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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Osten, in den Heimathafen, eine schäumende weiße Furche durch das Wasser pflügte. Doch war mein Flug so schon reich an aufregenden Erlebnissen. Ich saß nämlich an Bord einer Lockheed Constellation, einer viermotorigen Propellermaschine mit dreifachem Seitenleitwerk, die ursprünglich als Langstreckenbomber entworfen worden war und dann als Truppentransporter fungiert hatte. In meinem Fall wurde das Flugzeug von einem zwielichtigen Charterunternehmen namens Capitol Airways mit Sitz in Nashville, Tennessee, eingesetzt. Wir starteten in New York, landeten vier Stunden später in Gander und flogen von dort nach Shannon im Westen Irlands weiter. Wie der Pilot nach der Landung beichtete, hatten wir es gerade noch bis dorthin geschafft, weil der Treibstoff bedrohlich zur Neige gegangen war. Wir setzten dann den Flug Richtung London fort, wo man uns aber aus technischen und juristischen Gründen keine Landeerlaubnis erteilen wollte, so dass wir nach Brüssel umgeleitet wurden. Dort rannte ich gereizt herum, bis es mir schließlich gelang, einen Platz auf einer Maschine nach Manchester zu ergattern, von wo aus ich dann mit dem Zug die letzte Etappe bis nach Hause zurücklegte.
    Fast ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seitdem ich diese beiden Atlantiküberquerungen absolvierte – an die fünfzig Jahre, in denen ich mindestens fünfhundertmal den Sprung über dieses besondere Gewässer gemacht habe. Und ich bin auch von vielen anderen, sowohl am Nord- als auch am Südatlantik gelegenen Häfen zu Überquerungen des Ozeans auf ganz anderen als der Ost-West-Route aufgebrochen und habe überdies Expeditionen zu den verschiedenen Inseln unternommen, die auf seiner gewaltigen Fläche verstreut liegen. Doch kommt es mir so vor, dass die Geschichte dieser Route, welche die wichtigsten britischen Häfen mit ihren Entsprechungen im östlichen Kanada oder in den Vereinigten Staaten verbindet, einen Aspekt, von dem dieses Buch handelt, in seinen wesentlichen Grundzügen hervortreten lässt: die Entwicklung in der Haltung des Menschen zu diesem gewaltigen Gewässer und seinem Verhältnis zu ihm.
    Sogar während der Spanne meines eigenen Lebens hat dieses Verhältnis sich geändert – und zwar tiefgehend.
    In den frühen Sechzigern war eine Atlantiküberquerung per Schiff noch etwas vergleichsweise Seltenes. Eine kleine Schar von Besitzlosen legte, wie Millionen zuvor, als Auswanderer nur die Strecke in Richtung Westen zurück; größer aber war die Zahl der reichen Müßiggänger, die, ohne einen Gedanken an die Kosten oder die Zeit, die man dafür aufwenden musste, zu verschwenden, hin und zurück fuhren. Eine Handvoll Geschäftsleute, nicht wenige Politiker und Diplomaten reisten ebenfalls nach Nordamerika, doch die Mehrheit von ihnen bevorzugte von Propellern angetriebenen Flugzeuge statt von Schrauben angetriebene Schiffe, denn sie befanden sich in dringenden Angelegenheiten unterwegs – oder meinten dies zumindest. Für die meisten, die die Reise absolvierten, verband sich damit immer noch ein Abenteuer – das oft angsteinflößend, aufregend oder denkwürdig war, vielleicht auch mit einer Prise Romantik gewürzt oder von den Leiden der Seekrankheit geprägt. Eines aber war sie ganz gewiss nicht: Routine.
    Das gilt heute kaum noch. Eine Zeit lang war es auch ein Erlebnis, den Ozean auf dem Luftweg zu überqueren – jedoch nicht sehr lange. Es muss zum Beispiel ziemlich aufregend gewesen sein, mit einem der Flugboote von Pan Am vom Solent bis zum Hudson zu fliegen und en route in den Hafenbecken längst vergessener Zwischenstationen mit merkwürdigen Namen wie Foynes, Botwood und Shediac zu wassern. Es muss einem wie der Inbegriff stilvollen Reisens vorgekommen sein, sich auf einem Stratocruiser mit seinen zwei übereinanderliegenden Decks auf einer Liege auszustrecken, während die Wellen geräuschlos unter einem entlangglitten. Es war sicher ein denkwürdiges Erlebnis – und angesichts der hohen Absturzrate der Maschine auch ein tollkühnes Wagnis –, sich einer der ersten Maschinen vom Typ Comet der BOAC anzuvertrauen oder auch einer der alten Dreckschleudern vom Typ Boeing 707, als Pan Am und TWA anfingen, Nonstopflüge mit ihnen durchzuführen. Ich erinnere mich noch genau, wie ich bei einem der frühen Testflüge der Concorde dabei sein konnte und von kindlichem Erstaunen darüber gepackt wurde, wie schnell diese Flugzeuge waren, als man uns, nachdem ich das Feuilleton der New York Times gerade erst zur Hälfte
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