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Der Atem der Welt

Der Atem der Welt

Titel: Der Atem der Welt
Autoren: Carol Birch
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Silky, die nichts von meinem Abenteuer wussten, meine Zehenspitzen brannten noch, und meine Pflaster wurden schon schmutzig und fransig. Die vorquellenden dicken braunen Brüste ungeschnürt, zählte Mari-Lou mir die Pennys für den Bratfischstand und einen Penny für mich fürs Gehen in die Hand. Mari-Lou trug ihr Haar sehr schwarz mit roten Rosen über den Ohren. Ein kompliziertes Fältchennetz spann sich um ihre Augen, und ein großer, runder, vorstehender Bauch trug sie voran. »Also, Mister Jaffy«, verkündete sie, »keine braunen Stellen. Kapiert? Keine braunen Stellen und eine hübsche große Essiggurke, und wehe, du lutschst daran.« Ihr Rouge war verblasst. Das Gebirge aus Seide, das Silky war, saß im Bett, ihre schlaffen Brüste hingen ihr bis in die Taille. Beide würden ihre Fischmahlzeit im Bett vertilgen und keine halbe Stunde später schnarchen.
    Und da erscholl der Ruf: »Jaffy Brown wird verlangt!«
    Ich ging ans Fenster und sah hinaus, die warmen Kupfermünzen in der Hand, und da war er. Älter, größer, das ganze Gegenteil von mir, glattes goldenes Haar, hübsches, mädchenhaftes Gesicht. Tim Linver. Es war später Vormittag, auf der Straße wimmelte es von Menschen.
    »Wer verlangt nach ihm?«, rief ich.
    »Jamrach verlangt nach ihm«, erwiderte er. »Komm runter.«
    »Was ist mit unserem Kabeljau, Mister Jaff?« Mari-Lou grub ihre langen, roten Klauen in meinen Arm.
    »Ich komme!«, rief ich und sprang schon die Treppen hinunter.
    Der Junge kam auf mich zu. »Bist du das?«, fragte er nicht sehr freundlich.
    »Ja.«
    »Ich soll dir eine Himbeertasche kaufen«, sagte er missmutig. »Hat Jamrach gesagt.«
    Die Himbeertaschen in den Schaufenstern der Konditorei in der Back Lane, wo ich jeden Tag vorbeikam, waren unglaublich. Die Beeren bluteten Saft durch ihre Härchen. Die hineingespritzte Sahne war blass golden, der Teig feucht vor Zucker.
    Der Tiger hatte magische Türen geöffnet.
    »Ich mach gerade eine Besorgung«, sagte ich, »ich soll Fisch holen.«
    »Ja, aber ich soll dir eine Himbeertasche holen und dich zu Jamrach bringen«, sagte er, als wäre das sehr viel wichtiger. »Du kriegst die ganz große Führung. Mit all den wilden Tieren.«
    Mari-Lou beugte sich aus dem Fenster: »He! Los jetzt, Mister Jaff, geh den Fisch holen!«
    »Wie ist es, gefressen zu werden?«, fragte der Junge.
    »Gefressen?«
    »Du bist doch gefressen worden«, sagte er, »behaupten die Leute jedenfalls.«
    »Seh ich so aus?«
    »Alle sagen, du bist gefressen worden«, erklärte er, »ganz und gar aufgefressen, nur dein Kopf lag am Schluss noch auf den Steinen.«
    Ich sah ihn vor mir, meinen Kopf auf den Steinen. Ich musste lachen.
    »Nur dein Kopf«, sagte er, »und deine Hände und Füße. Und noch ein paar Knochenreste vermutlich, ziemlich abgenagt.«
    »Hat kein bisschen wehgetan«, sagte ich.
    Mari-Lou zielte mit einer Flasche in meine Richtung. Sie flog an meinem Kopf vorbei und zerschellte im Rinnstein.
    »Eine Sekunde«, sagte ich zu dem Jungen. »Warte hier.« Und ich rannte den ganzen Weg bis zum Fischstand und den ganzen Weg zurück. Mrs Regan nahm gerade wieder ihren Posten auf den Treppenstufen ein und sah missbilligend auf meine dreckigen Füße, als ich an ihr vorbeischoss. »Du kriegst noch eine Blutvergiftung«, bemerkte sie. Ich sauste die Treppe hoch und drückte Mari-Lou das dampfende Päckchen in die gierigen roten Klauen. Mari-Lou und Silky mochten den Fisch am liebsten so durchweicht, dass er schon matschig war. Meine Augen brannten vom Essigdunst am Fischstand. Ich hatte die Gurke vergessen. Sie zeterten, als hätte ich einen Krüppel beraubt. Ich musste ihnen den Penny zurückgeben, aber das war mir egal. Wilde Tiere streunten in meinem Kopf herum, Löwen, Tiger, Elefanten, Giraffen. Ich würde eine Himbeertasche kriegen und die Tiere sehen.
    Als ich auf die Straße zurückrannte, stand der Junge immer noch da, die Hände tief in den Taschen, die Schultern hochgezogen. »Los, komm«, sagte er, und ich folgte seinem betont gestreckten Rücken durch die Menschenmenge zwischen den Marktständen, bis wir bei der Back Lane herauskamen, wo er mich wortlos und mit einer einzigen Armbewegung daran hinderte, zusammen mit ihm den Laden zu betreten. Doch er, er marschierte hinein und verlangte eine Himbeertasche, zum Sofortessen bitte, Rose, Süße, als wäre er ein Mann. Damals wusste ich noch nicht, dass er nur ein Jahr älter war als ich, und hielt ihn für mindestens elf.
    Ich konnte Rose durch
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