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Der Atem der Welt

Der Atem der Welt

Titel: Der Atem der Welt
Autoren: Carol Birch
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ganzer Kakaduschwarm schaute, mit aufgestelltem Schopf und flaumiger Brust, von hoch oben auf den ohrenbetäubenden Irrsinn. Das Kreischen klang wie Höllengelächter.
    »So mögen sie es«, sagte Jamrach.
    Meine Augen tränten, die Ohren taten mir weh.
    »Sie sind nicht gern allein.«
    »Die wollen Papageien«, sagte Tim Linver, der mit lockerem, wippendem Gang nebenher tänzelte.
    »Wer?«
    »Die Leute.«
    Ich drehte den Kopf. Kleine, niedliche Dinger, blau, rot, grün, gelb, in Reihen hinter dem Maschendraht, sehr brav und ruhig.
    »Meine Sittiche«, sagte Jamrach, »herrliche Vögel.«
    »Rein und raus in null Komma nichts, der Trupp hier.« Tim wippte auf den Fersen und redete wie ein Mann, als würde der ganze Tierhandel ihm gehören.
    Der zweite Raum war ruhiger. Hunderte von Vögeln, klein
wie Sperlinge, aber in sämtlichen Farben des Regenbogens, in langen Kästen. Eine ganze Wand aus Hüttensängern, Brüste so rosa wie Sorbetbrause. Die Luft voll Gezwitscher, wie früher Morgen.
    »Sechs Shilling das Paar«, sagte Tim.
    Im dritten und letzten Raum war es vollkommen still. An den Wänden stapelten sich winzige Holzkäfige bis an die Decke, und in jeden passte genau ein Vogel, und alle waren stumm und reglos. Dieser Raum beunruhigte mich mehr als alles, was ich bisher gesehen hatte. Vielleicht könnte Mr Jamrach mir ja einen schenken, dachte ich. Ich würde ihn zähmen und ihn frei in unserem Zimmer herumfliegen und singen lassen.
    Doch nun ging es nach draußen auf den blendend hellen Hof. Bulter aus dem Büro war da mit einem anderen Mann, der vor einem Gehege fegte. Ein Kamel kaute hinter den Gitterstangen. Ein Kamel muss kauen, so wie es atmen muss. Das weiß ich inzwischen. Damals war es, als würde ich ein Bilderbuch betreten. Die Tiere waren der Stoff, aus dem die Märchen sind, der schwarze Bär mit dem weißen Brustlatz, das zur Seite gerichtete Auge des Baby-Elefanten, der riesige Kopf der Giraffe, der aus dem Himmel zu mir herunterkam und mich mit der feuchten Hitze aus den beweglichen Nasenlöchern anblies. Ich war ganz benommen von dem umwerfenden Gestank. Um mich herum dampfte die Wildnis. Und dann sah ich meinen Tiger in seinem Käfig, mit einem Löwen an der einen Seite und ein paar Hundeartigen an der anderen. Der Löwe war eine majestätische, furchterregende Katze mit dem ernsten, traurigen Gesicht eines Gelehrten und wild wogender Mähne. Er sah mir sehr lange in die Augen, ehe er sich vollkommen gleichgültig abwandte. Seine dicke rosa Zunge fuhr heraus und streichelte ihm die Nüstern. Die Haare auf den Rücken der Hundeartigen stellten sich auf. Mein Tiger schritt mit wiegendem Gang auf und ab, der dicke Schwanz peitschte die Luft. Kleine schwarze Fische schwammen auf seinem Rücken. Krummsäbel, Schwerter, Striche, schwarz
auf gold, schwarz auf weiß. Schwerer Kopf, Unterkiefer locker hängend, vorwärts und rückwärts, gleichmäßig.
    drei Schritte und ein halber – und kehrt –
    drei Schritte und ein halber – und kehrt –
    drei Schritte und ein halber –
    »Siehst du!«, sagte Jamrach. »Das hier ist der böse Bube. Er weiß, dass er ein böser Bube war, er schämt sich. Siehst du?«
    »Hat er einen Namen?«
    »Noch nicht. Er hat noch keinen Käufer gefunden.«
    »Wer kauft denn einen Tiger?«, fragte ich.
    »Zoos«, sagte Tim.
    »Der Londoner Zoo«, sagte ich. Ich war noch nie dort gewesen.
    Tim und Jamrach lachten, als hätte ich etwas Komisches gesagt.
    »Nicht nur Zoos«, sagte Jamrach. »Auch Leute, die sammeln.«
    »Was kostet mein Tiger?«, fragte ich.
    »Das ist ein ausgewachsener bengalischer Tiger«, sagte Mr Jamrach. »Mindestens zweihundert Pfund.«
    Tim verriet: »Zweihundert ein Tiger, dreihundert ein Elefant, siebzig ein Löwe. Man kann aber auch dreihundert für bestimmte Löwen zahlen. Man muss den richtigen erwischen. Und ein Orang-Utan, der macht dreihundertzwanzig.«
    Wir kletterten eine Leiter hoch zu einem Ort, wo es ein Tier gab, das aussah wie ein Teighaufen, eine mächtige Eidechse, verrückt und grinsend. Und Affen waren da, viele Affen, ein Verschnitt menschlicher Natur, ein daraus gemischter Knochenhaufen, eine Wand, ein Traum aus kleinen Gesichtern. Babydinger. Nein, uralte, ummöglich alte Dinger. Aber sie waren jenseits von alt und jung. Die Babys klammerten sich fest unter bergende Bäuche. Die Mütter, stoisch über ihnen, duldeten es.
    »Und hier . . .«
    Mit dramatischer Geste lüpfte Jamrach den Deckel eines nied
rigen, runden
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