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Der Atem der Welt

Der Atem der Welt

Titel: Der Atem der Welt
Autoren: Carol Birch
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Korbs. Schlangen, dick, grün und braun und muskulös, lagen leicht zuckend eine auf der anderen, wie aufgewickelte Taue am Kai. »Bissige Viecher«, sagte Jamrach, legte den Deckel wieder drauf und befestigte ihn mit einer Kordel.
    Wir kamen an einer riesigen Katze mit spitzen Ohren und Augen wie Edelsteinen vorbei, die uns wie ein Kätzchen anmiaute. Pelzige Wesen rannten um unsere Füße herum, hübsche Wesen, wie ich sie mir nie hätte vorstellen können. Er sagte, die kämen aus Peru, wo immer das auch liegen mochte. Und ganz hinten in der dunkelsten Ecke hockte mit hängenden Armen, die Finger nach innen gedreht, ein Affe, der mich wie aus Menschenaugen anschaute.
     
    Das war es, was ich mir stets gewünscht hatte. Für immer und ewig bei den Tieren sein und ihnen, wie und wann ich gerade Lust hatte, in die Augen sehen. Weshalb ich, zurück im verräucherten Büro, wo der blässliche Bulter hinter seinem Schreibtisch flegelte und schon wieder Kakao trank, als Mr Jamrach mir eine Arbeit anbot, nur wie ein Idiot »Oh ja!« rufen konnte, was alle zum Lachen brachte.
    »Der ist aber noch sehr klein«, meinte Tim Linver. »Sind Sie auch sicher, dass er das schafft, Mr Jamrach?«
    »Also, Jaffy?«, fragte Mr Jamrach gemütlich. »Wirst du das schaffen?«
    »Bestimmt«, sagte ich, »ich kann hart arbeiten. Das wissen Sie bloß noch nicht.«
    Und das konnte ich. Es würde uns jetzt gutgehen, Mama und mir. Sie machte Schichtdienst beim Zuckerbäcker, dem Haus mit dem hohen Schornstein, und ich sollte noch am selben Abend im Spoony Sailor als Schankjunge anfangen. Mit alldem und dazu dieser neuen Arbeit würden wir unsere Miete im Voraus bezahlen können.
    Tim trat neben mich und stieß mich mit der Schulter an.
»Weißt du auch, was das heißt, du Hilfsmatrose?«, sagte er. »Mist schaufeln im Hof.«
    Doch es gab niemand Besseren dafür als mich, das sagte ich ihnen auch, und da mussten sie noch mehr lachen. Mr Jamrach, der seitlich an seinem Schreibtisch saß, bückte sich und faltete den weißen Papierdeckel von der Kiste zurück, die neben seinen Füßen stand. Sehr vorsichtig und äußerst respektvoll hob er eine Schlange heraus, eine, die größer war als all die anderen, die ich schon gesehen hatte. Wenn sie sich lang ausgestreckt und auf ihre Schwanzspitze gestellt hätte, wäre sie wahrscheinlich größer als ich gewesen. Ihr Körper war dreieckig und mit trockenen, gelblichen Schuppen bedeckt. Ihr langes Gesicht reckte sich mir aus seinen Händen entgegen. Ich war nur ungefähr einen Meter entfernt, und sie streckte sich wie eine Brücke von ihm zu mir, schnurgerade, als wäre sie eine Hand, die auf mich zeigte. Eine flinke gespaltene Zunge, rot wie der Teufel, schoss hervor, nur dreißig Zentimeter von meiner Nase entfernt.
    »Ssso«, sagte Jamrach mit zischender Schlangenstimme, »du machst also bei uns mit, Master Jaffy?«
    Ich streckte die Hand aus, um die Schlange zu berühren, doch er zog sie energisch weg. »Nicht anfassen!«, sagte er ernst, »nur, wenn ich es ausdrücklich sage. Du tust, was man dir sagt. Verstanden?«
    Ich nickte heftig.
    »Guter Junge«, sagte er und setzte die Schlange wieder in ihre Kiste, wo sie sich zusammenrollte.
    »Hab ich das Sagen bei ihm, Mr Jamrach?«, fragte Tim begierig. »Du musst nämlich wissen«, erklärte er mir, »ich kenn mich in allem aus. Stimmt's, Mr Jamrach?«
    Jamrach lachte. »Ja, wahrhaftig, Tim, das stimmt«, sagte er.
    »Siehst du«, sagte Tim, »du musst jetzt machen, was ich dir sage.«
    Jamrach bestellte mich für den nächsten Morgen um sieben
Uhr, weil sie dann eine Lieferung tasmanischer Teufel erwarteten und noch mehr Seidenaffen. Bei dem Wort Seidenaffen verdrehte er die Augen.
     
    An jenem Abend trat ich meine Arbeit im Spoony Sailor an. Es war ein nettes altes Wirtshaus, und sie waren freundlich zu mir. Der Besitzer hieß Bob Barry und war ein Gastwirt der alten Sorte, zäh wie Leder und zerknittert wie uralte Bettlaken. Er setzte sich ans Klavier, warf den Kopf in den Nacken und röhrte, mit einer Stimme wie Teer, zur eigenen Begleitung irgendwelche dreckigen alten Liedchen. Zwei Männer in Holzpantinen tanzten den Hornpipe-Tanz auf einer Bühne, und der Kellner ging nach vorn und trug in Frauenkleidern komische Lieder vor. Ich eilte den ganzen Abend mit dem Bier hin und her, spülte die Krüge und wischte die Tische sauber. Die Damen kniffen mir in die Wangen, eine dicke französische Hure gab mir Brot und Speck, und alles war lustig. Als
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