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Der Atem der Apokalypse (German Edition)

Der Atem der Apokalypse (German Edition)

Titel: Der Atem der Apokalypse (German Edition)
Autoren: Sarah Pinborough
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hatte er mit Widerstand von ihm und Artie Mullins’ anderen Schergen gerechnet, doch anscheinend waren sie ganz froh, mal nicht auf ihn aufpassen zu müssen. Am nächsten Tag würde er seine neue Identität bekommen, dann war er frei wie ein Vogel. Wahrscheinlich dachten sie, es wäre eine gute Übung, wie Freigang für Gefangene mit langen Haftstrafen. Einen geschwächten Patienten zu pflegen, der den halben Tag verschlief, war etwas anderes als einem ausgewachsenen gesunden Alphamännchen vorzuschreiben, was es zu tun und zu lassen hatte, selbst wenn sie auf Befehl von Mullins arbeiteten. Mac hatte es an diesem Morgen auf den Punkt gebracht. »Wie soll ich es anstellen, Sie hier einzusperren? Soll ich etwa noch eine Kugel in Sie hineinjagen?«, hatte er geknurrt. »Irgendwie wäre das widersinnig, oder?«
    Weit weg von der Hauptstadt entspannte sich Cass’ Rücken und er genoss den Blick auf die Silhouette der alten Stadt. Dieses Gefühl von Freiheit war ihm fremd, denn er war in London zu Hause und liebte die Stadt. Doch mit den zahllosen Überwachungskameras, den erhöhten Sicherheitsmaßnahmen seit 26 / 09, also auch mehr Polizisten auf Streife, musste er höllisch aufpassen – umso mehr, weil jeder, aber auch jeder Bulle in London ihn gern verhaftet hätte, den großen Cass Jones, den Nestbeschmutzer, der jetzt auch noch wegen zweifachen Mordes gesucht wurde. Er konnte es ihnen nicht verübeln – wahrscheinlich ginge es ihm in ihrer Lage ähnlich. Immerhin hatten die Zeitungen seinen Undercover-Einsatz noch nicht wieder ausgegraben; das hätte ihm gerade noch gefehlt. In dem Fall hätte man ihn sicher als Inkarnation des Teufels hingestellt, doch irgendwer sorgte dafür, dass die Sache unter Verschluss blieb. Er lachte über diese Ironie des Schicksals, denn von den drei Morden, die man ihm anhängen wollte, war dies der einzige, den er wirklich begangen hatte.
    In einem Zeitungsladen kaufte er einen Stadtführer von Oxford und gelangte schließlich zu der Adresse auf dem Zettel, den Pater Michael ihm am Vortag gegeben hatte. Er war jetzt schon über eine Stunde zu Fuß unterwegs und nach der Zug- und Busfahrt machte das seiner Schulter schwer zu schaffen. Cass war erschöpft. In den letzten beiden Monaten war er fast nur in der Wohnung umhergeschlappt, nun fühlte er sich schwach wie ein Kätzchen. Das musste schleunigst besser werden: Wenn er Luke finden und es mit Mr Bright und Der Bank aufnehmen wollte, brauchte er all seine Kräfte.
    »O Gott«, murmelte er, als er vor dem Haus stand. Falls man nach dem Äußeren urteilen konnte, war Pater Michaels Einschätzung, Stuart Cornell könne »vielleicht völlig verrückt« sein, die Untertreibung des Jahres. Das Gebäude selbst war ein hübsches Reihenhaus mit einem eigenen kleinen Vorgarten, doch im Gegensatz zu den anderen gab es weder Topfpflanzen noch einen ordentlichen Kiesstreifen in hübschen Farben, der vom Bürgersteig zur Tür geführt hätte. Der Garten von Nummer 29 bestand aus meterhohem Unkraut, das sich durch die Risse in den Steinplatten gekämpft hatte. Immerhin überwucherten sie die Reifen und verbeulten Mülleimer, die überall herumlagen. Das Panoramafenster dahinter war gleichermaßen unansehnlich. Die verblichene Farbe blätterte von dem faulenden Holz und die Fensterscheibe war von beiden Seiten schwarz. Draußen war es Dreck, drinnen anscheinend Nikotin. Die verschlissene Gardine war völlig überflüssig.
    Cass drückte gar nicht erst auf die verschmutzte Klingel, weil sie ohnehin nicht funktionieren würde, und klopfte laut an die Tür. Nach kurzem Warten klopfte er erneut und diesmal hörte er ein Schlurfen hinter der Tür sowie das Rascheln von Papier.
    »Wenn Sie von der Stadtverwaltung sind, können Sie gleich wieder gehen. Gestern war auch schon einer da.«
    Der Mann hörte sich wortgewandt an, ganz und gar nicht wie eine moderne Ausgabe Fagins, die Cass anhand des heruntergekommenen Hauses erwartet hatte. Doch seine Stimme zitterte und Cass erkannte sofort, dass er paranoid und ängstlich war. Dieser Mann redete normalerweise nicht mit Fremden – wenn er überhaupt sprach.
    »Ich bin nicht von der Stadtverwaltung, Mr Cornell. Ich wollte Sie fragen …«
    »
Dr.
Cornell. Ich habe promoviert. Ich bin
Doktor
. Sie sollen nicht dauernd herkommen, ich habe viel zu tun.« Der Mann fing an sich aufzuregen. Cass dagegen redete nur noch langsamer auf ihn ein, als er sich weiter zur Tür vorbeugte. »Ich möchte Sie nur besuchen,
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