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Der Anruf kam nach Mitternacht

Der Anruf kam nach Mitternacht

Titel: Der Anruf kam nach Mitternacht
Autoren: Tess Gerritsen
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sein protokollgerechtes Verhalten perfektioniert hatte, waren seine politischen Ansichten nicht konformgerecht. Es lag nicht an seinem Unvermögen, es lag an seinem Unwillen.
    Nick wusste, in dieser Hinsicht war er ein schlechter Diplomat. Unglücklicherweise schienen die verantwortlichen Stellen darin mit ihm übereinzustimmen. Deshalb war er auf diesen unwichtigen Konsulatsposten in Washington versetzt worden und musste kürzlich verwitweten Frauen die schlechten Nachrichten übermitteln. Sicher, er hätte den Posten ablehnen können und wieder auf seinen bequemen Platz an der American University zurückkehren und dort lehren können. Darüber hatte er nachdenken müssen. Ja, diese zwei Wochen Alleinsein auf den Bahamas hatte er gebraucht.
    Was er nicht gebraucht hatte, war, zurückzukommen und in diese Sache zu geraten.
    Seufzend schlug er die Akte mit dem Namen Fontaine, Geoffrey H., auf. Eine Kleinigkeit hatte ihm den ganzen Morgen über zu denken gegeben. Seit ein Uhr nachts hatte er vor dem Computer gesessen und jede Einzelheit abgefragt, die er aus der Fülle der Regierungsunterlagen bekommen konnte. Eine halbe Stunde lang hatte er auch mit seinem Kollegen Wes Corrigan im Berliner Konsulat telefoniert. Enttäuscht hatte er sich dann einige weniger übliche Quellen zunutze gemacht. Was als Routinekondolenzanruf bei einer Witwe angefangen hatte, stellte sich als etwas viel Komplizierteres heraus – als Puzzle, in dem Nick nicht über alle Teilchen verfügte.
    Wenn es darum ging, so viele Informationen wie möglich zu erhalten, konnte Nick unersättlich sein. Doch als er jetzt die Akte Fontaine zur Hand nahm, hatte er das Gefühl, nichts als Luft in den Händen zu halten – nichts von Bedeutung, außer einem Namen. Und einem Todesfall.
    Er sah auf, als die Tür geöffnet wurde. Sein Kollege Tim Greenstein kam herein.
    »Volltreffer! Ich habe es!«, sagte Tim. Er legte einen Ordner auf den Schreibtisch und sah Nick mit seinem breiten, etwas dümmlichen Grinsen an, für das er berühmt war. Die meiste Zeit über sah er mit diesem Grinsen auf seinen Computerbildschirm. Tim war eine Art Rettungsengel, der Mann, den jeder rief, wenn die Daten nicht dort waren, wo sie hingehörten. Dicke Brillengläser, die er als Folge eines schon in der Kindheit aufgetretenen grauen Stars tragen musste, verzerrten seinen Blick. Ein buschiger, schwarzer Bart verdeckte fast völlig sein Gesicht und ließ nur die bleiche Stirn und die Nase frei.
    »Ich sagte doch, ich bekomme es«, erklärte Tim triumphierend und ließ sich in den Nick gegenüberstehenden Ledersessel fallen. »Ich bat meinen Kumpel beim FBI, ein bisschen herumzuschnüffeln. Da er mir mit nichts dienen konnte, habe ich selbst herumgesucht. Es war wirklich nicht einfach, kann ich dir sagen, das aus den Geheimdaten herauszubekommen. Da sitzt so ein neuer Idiot, der seine Sache unbedingt richtig machen will.«
    Nick runzelte die Stirn. »Du musstest dir das aus der Sicherheitsabteilung besorgen?«
    »Tja. Da ist noch mehr, aber ich kam nicht durch. Ich bekam heraus, dass beim Staatssicherheitsdienst über deinen Mann eine Akte existiert.«
    Nick klappte den Ordner auf und blickte erstaunt hinein. Was er sah, warf noch mehr Fragen auf. Fragen, auf die es keine Antworten zu geben schien. »Was zum Teufel soll das eigentlich bedeuten?«, murmelte er verwirrt.
    »Das ist der Grund, weshalb du nichts über Geoffrey H. Fontaine finden konntest«, sagte Tim. »Bis vor einem Jahr hat der Kerl nicht einmal existiert.«
    Nick sah auf. »Kannst du an noch mehr herankommen, Tim?«
    »Hey, Nick, ich glaube, wir begeben uns da auf fremdes Terrain. Das könnte den Typen von der Firma ganz und gar nicht passen.«
    »Dann sollen sie mich doch rankriegen.« Nick ließ sich nicht im Mindesten durch den CIA einschüchtern. Nicht, seit er all die inkompetenten Typen der Firma getroffen hatte. »Egal«, meinte er schulterzuckend, »ich erledige nur meine Arbeit. Ich habe eine trauernde Witwe, wie du weißt.«
    »Aber die Fontaine-Sache reicht ziemlich weit.«
    »Du wagst dich ja auch sehr weit vor, Tim.«
    Tim grinste. »Was ist mit dir los, Nick? Willst du auf einmal Detektiv spielen?«
    »Nein. Ich bin nur neugierig.« Er sah stirnrunzelnd auf den Schreibtisch, wo ein Berg von Arbeit auf ihn wartete. Es war der übliche, bürokratische Kleinkram, seine Hauptbeschäftigung, aber er musste erledigt werden. Am besten war es, der trauernden Witwe freundlich auf die Schulter zu klopfen, ein paar
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