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Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Titel: Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noel Hardy
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Wie Martin Luther einmal gesagt hat: ›Wo Gott auch nur an einem Tag die Welt durch die Engel nicht regierte, so würde bald in einem Hui das ganze menschliche Geschlecht gar vergehen, der Teufel würde alles verderben.‹ Und diesmal …«
    Er seufzte und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. »Es war einfach so, dass die Kräfte von Himmel und Hölle sowieso schon bis an die Grenze ihrer Kapazitäten beansprucht waren. Denn nachdem Luzifer von deiner geplanten Klage erfahren hatte, musste er ja auf die gesteigerten Aktivitäten der Engel seinerseits auch mit erhöhten Anstren gungen reagieren, um wenigstens noch etwas Elend, ein paar Katastrophen und einen Rest Böses aufrechterhalten zu können.«
    Murat warf einen Blick zurück, in die Kuppel hinauf, wo die Tauben unruhig zu gurren begonnen hatten. »Aber weil ich nur sieben Tage Zeit hatte«, sagte er, »musste ich leider … Nun ja, sagen wir, der Sieg des Guten wurde mit unlauteren Mitteln herbeigeführt. Mit Lug und Betrug, um genau zu sein, dem Werkzeug des Teufels. In diesem Punkt ist man da oben etwas empfindlich. Schließlich handelte es sich bei Luzifer um einen ehemaligen Mitarbeiter, jemand aus der Geschäftsführung sogar, der sich vor Urzeiten nach einem gescheiterten Management-Buy-out selbstständig gemacht und ein Konkurrenzunternehmen gegründet hat. Damals sind ihm nach Schätzungen eines hebräischen Schriftgelehrten von den 301 655 722 Engeln ziemlich genau 133 306 668 Mitarbeiter gefolgt – eine mittlere Katastrophe.«
    Â»Also ist es meine Schuld, dass ihr dieses Jahr nicht besser abgeschnitten habt?«, fragte Emma.
    Â»Nein, nein«, wehrte Murat ab. »Dass du … Dass ich dich dazu bringen konnte, die Klage zurückzuziehen, hat wenigstens dafür gesorgt, dass die Hölle nicht gewinnen konnte! Und jetzt haben sie beschlossen, dem ganzen Irrsinn ein Ende zu bereiten. Der Teufel will nicht mehr Teufel sein, und Gott in seiner Güte hat ihn wieder aufgenommen wie einen …«
    Â»â€¦ verlorenen Sohn.«
    Â»Genau.«
    Â»Wusstest du das die ganze Zeit? Du wusstest es und hast mir nichts davon gesagt?«
    Â»Ich durfte doch nicht! Aber jetzt – jetzt bin ich froh, dass du alles weißt.« Er ließ sie los und legte ihr die Hand an die Wange. »Ich werde dich nie vergessen.«
    Â»Nie mehr«, verbesserte sie ihn.
    Â»Nie mehr«, bestätigte er.
    Â»Ach, und mein Vater lässt fragen, ob du … ob du, wenn du wieder da oben bist, meine Mutter von ihm grüßen kannst. Er denkt jeden Tag an sie, und sie fehlt ihm. Sie heißt Elise. Grüße für …«
    Â»Für Elise«, wiederholte der Engel. Ein seltsam befreiter Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Er lächelte und rannte zurück in die Kirche, wie ein Sprinter, um den Al tar herum und den Mittelgang hinunter. Als er das Mosaik unter der Kuppel erreichte, sah es aus, als wollte er eine unsichtbare Hürde nehmen, mit einem wilden, unbän digen Satz, die Brust vorgestreckt, die Arme hochgerissen. Ge nau so verharrte er für eine Sekunde im Sprung in der Luft. Wie ein Sportler, der im Foto festgehalten wird, wäh rend er das Zielband zerreißt.
    Im nächsten Augenblick war er verschwunden.
    Emma sah noch einen Moment lang ein leichtes Flimmern in der Luft, das in ihrem Herz nachzitterte. Ein sanfter Ruck. Dann erregte ein gleißender Fleck auf dem Boden ihre Aufmerksamkeit, genau in der Mitte des Mosaiks. Aus der Nähe erkannte sie, dass es sich um eine goldene Kreditkarte handelte. Sie bückte sich, um die Karte aufzuheben. Aber sie ließ sich nicht bewegen. Es war, als wäre sie festgeklebt. Emma las den Namen des Inhabers, Murat Honigfels, und den der ausgebenden Bank, Istituto per le Opere di Religione . Die Oberfläche der Goldkarte reflektierte das Licht der Votivkerzen im Seitenschiff und warf es als schwach leuchtenden Strahl in die Kuppel. Emma blickte hoch. Der Strahl fiel auf das Fresko der Trinità.
    Aber es war nicht das Gesicht des Heiligen Vaters, das von dem Schein aus dem Dunkel der Kuppel geholt wurde. Es war auch nicht das des Sohnes. Der Lichtstrahl ruhte auf einer Stelle links von der Dreifaltigkeit, etwas unterhalb der nackten Füße des Vaters, von der Emma immer gedacht hatte, dass sie leer sei, weil jemand das ursprüngliche Motiv übermalt hatte.
    Und dort, zwischen jubilierend

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