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Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Titel: Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte
Autoren: Noel Hardy
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ihn durch ein Zittern verraten.
    Â»Ich habe einen Erdbeerkuchen gebacken«, sagte Emma.
    Sie standen im Licht einer Straßenlaterne auf dem Gehweg vor ihrer Wohnung, eingesponnen in silbriges Flockengewirbel. Sie hatte ihn zu einem Spaziergang überredet, und ihr war immer noch ein Vorwand eingefallen, um Murat ein Stück weiter in ihre Richtung zu locken. Sonst war ihr nichts eingefallen. Sie wusste einfach nicht, was sie ihm sagen sollte, wie sie das Unmögliche möglich machen konnte. »Erdbeerkuchen«, wiederholte sie. »Bitte.«
    Murat rang ganz offensichtlich mit sich, dann folgte er ihr zögernd ins Treppenhaus. »Ich kann aber nicht bleiben«, sagte er, als sie die Wohnungstür aufsperrte.
    Sie antwortete nicht, bis sie im Wohnzimmer waren. »Wo willst du denn hin?«, fragte sie dann. Diesmal war er es, der nicht antwortete. Sie lief in die Küche, um den Erdbeerkuchen zu holen.
    Dann saßen sie schweigend auf dem Wohnzimmer boden, jeder mit einem Teller vor sich, von dem keiner aß. »Wo willst du denn hin?«, fragte Emma noch einmal, obwohl sie die Antwort kannte. »Sag doch was.«
    Murat zuckte mit den Schultern und sah unglücklich auf seinen Teller. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Ich muss einfach gehen.«
    Â»Das ist keine Antwort. Ich habe dich den ganzen Tag über gesucht. Ich bin fast verrückt geworden vor Sorge. Du kannst doch nicht einfach so verschwinden. Wo warst du überhaupt?«
    Â»In der Kirche.«
    Â»Da habe ich auch gesucht.«
    Â»Ich war da.«
    Â»Warum hast du dich versteckt?«
    Er schwieg wieder. Der Kuchen wurde langsam dunkel an den Rändern. Emma teilte mit der Gabel einen Bissen von ihrem Stück ab, hob ihn aber nicht zum Mund. »Was hast du da gemacht?«
    Â»Druckausgleich.«
    Â»Druckausgleich? Was heißt das, Druckausgleich?«
    Â»Man kann nicht einfach so von der Erde zum Himmel aufsteigen«, erklärte Murat. »Man muss sich darauf vorbereiten. Wenn ich morgen …«
    Â»Halt, nicht so schnell! Du hast mir bei der Verwechslung im Krankenhaus das Leben gerettet. Das hast du doch, oder? Du kannst dich jetzt nicht einfach so verdrücken.«
    Â»Ich habe dir nicht das Leben gerettet.« Seine Stimme klang flach, gepresst. »Das kommt dir nur so vor, weil du dem Tod so nah warst.«
    Â»Wie soll das denn überhaupt gehen morgen?«, fragte sie, plötzlich zornig. »Wie willst du denn nach da oben zurückkommen?« Sie konnte seinem Gesicht ansehen, dass er selbst nicht die geringste Ahnung hatte. »Meinst du, du breitest einfach die Arme aus, und dann wirst du in den Himmel hochgezogen wie ein menschlicher Fahrstuhl in einen Schacht aus Licht? Oder dir wachsen auf einmal Flügel, und ein Windstoß wirbelt dich nach oben wie einen Papierdrachen? Oder du löst dich einfach auf und steigst empor wie verdunstetes Regenwasser?«
    Â»Ich weiß es nicht«, bekannte Murat. »Keine Ahnung.«
    Â»Das klappt doch nie«, sagte sie. »Du wirst nicht abheben. Du wirst nicht einmal zerplatzen oder in Flammen aufgehen wie die Challenger. Du wirst einfach nicht abheben.« Sie suchte in seinem Gesicht nach einer Antwort, aber was sie da las, wollte sie nicht wissen. Na gut, dachte sie, Zeit für meinen letzten Trumpf . »Noch habe ich die Klage nicht zurückgezogen!«
    Â»Aber du hast es versprochen, wenn ich deinem Vater helfe«, sagte er. »Und gestern hast du gesagt, dass du sie …«
    Sie hob die Gabel. Ihre Hand zitterte so sehr, dass der Kuchen von den Zinken auf den Teller zurückfiel. »Wenn du mich nicht verlässt«, sagte sie trotzig. »Aber du bist gestern weggegangen, und jetzt willst du auch nicht bleiben. Da sieht die Sache doch ein bisschen anders aus, oder?«
    Â»Morgen Vormittag unterschreiben dieser Bankier und dein Vater die Verträge, dann habe ich meinen Teil der Abmachung erfüllt.« Murats Stimme hatte einen flehenden Unterton, der sie plötzlich wütend machte. Lag ihm wirklich so viel daran, von ihr wegzukommen?
    Seine Augen schienen zu flackern, und auf einmal, für einen kurzen Moment nur, entdeckte sie darin einen erschrockenen Ausdruck, quecksilbrig und von plötzlicher Schüchternheit. Es war, als hätte er ihr zum ersten Mal einen flüchtigen Blick tief in sein Innerstes gestattet.
    Sofort verrauchte ihr Zorn. Gerührt betrachtete sie die traurige Gestalt hinter
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