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Der 50-50 Killer

Der 50-50 Killer

Titel: Der 50-50 Killer
Autoren: Steve Mosby
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hatte wie der Mann, den ich schließlich im Krankenhaus befragt hatte. Barnes, oder wie immer er wirklich hieß, hatte auf seinem eigenen Körper ein Spiegelbild von Scotts Leiden geschaffen. Und ich wusste, dass er Scott dort zurückgelassen hatte, damit er langsam an Unterkühlung starb. Aber wir würden wahrscheinlich nie erfahren, was genau sich in jener Nacht zwischen ihnen abgespielt hatte.
    Auf dem Bildschirm konnten wir den Pfarrer und die ersten zwei Reihen der Gemeinde sehen. Ich glaubte, Jodie vorn auf der rechten Seite zu erkennen. Es war merkwürdig, dass ich sie immer noch nicht kennengelernt hatte. Ich hatte sie in jener Nacht kurz in der Abteilung gesehen, aber keine Gelegenheit gehabt, mit ihr zu sprechen, und die Ermittlungen waren uns am nächsten Morgen entzogen worden. Hunters Mitarbeiter hatte sie ein paar Tage später befragt, und ich hatte die Abschrift gelesen. Und da begannen mir die Fragen einzufallen. Was mich am meisten interessierte, war das, was fehlte. Es erinnerte mich an das Foto, das Scott in seiner Brieftasche hatte. Genauso wie wir nur das sehen, was die Menschen uns zu zeigen bereit sind.
    »Der Tod ist immer eine Tragödie«, sagte der Pfarrer. »Die meisten von uns haben schon den Verlust eines geliebten Menschen erlebt, und jeder von uns weiß, dass es ein Verhängnis ist. In Scotts Fall wurde ein mit Kraft und Begabung erfüllter junger Mann vor seiner Zeit von uns genommen, und das macht es noch schwieriger, den Tod zu ertragen. Er hinterlässt eine Mutter, Teri, einen Vater, Michael, und seine Freundin Jodie. Gleich werden wir alle miteinander ein Lied singen, und dann wird Jodie zu uns über Scott sprechen und uns an einigen ihrer Erinnerungen teilhaben lassen.«
    Ich sah auf den Umschlag in meinen Händen hinunter und war immer noch nicht sicher, ob ich ihn ihr geben sollte oder nicht.
    Jodies und Scotts Computer war in der Abteilung sichergestellt worden. Der Inhalt der Festplatte war genau aufgelistet; das Dokument in dem Kuvert war allerdings nicht in die Liste der Dateien aufgenommen worden, die das IT-Team gefunden hatte. Aber es war klar, dass Scott es geschrieben hatte. Und das bedeutete, dass Barnes es gelöscht haben musste, als er ihn entführte. Doch er hatte den Ausdruck in den Wald mitgenommen und ihn als Beleg benutzt, als er Scott zwingen wollte, Jodie zu verraten.
    Fünfhundert Gründe, warum ich dich liebe.
    Barnes hatte den Ausdruck mit dem Brief an Mercer in dem alten Schuppen liegengelassen. Ein paar Seiten am Ende waren entweder nicht ausgedruckt worden oder verlorengegangen, denn die Liste war bei Nummer 274 plötzlich zu Ende. Aber es war immerhin etwas. Aus einem Impuls heraus hatte ich eine Kopie des Ausdrucks gemacht, der beim Beweismaterial abgelegt war. Das hätte ich nicht tun sollen, aber ich dachte, Scott hätte sich wahrscheinlich gewünscht, dass Jodie dies haben solle. Als ich nach ihrer Befragung den Text las, war ich mir allerdings nicht mehr so sicher. Es gab Dinge, über die ich vorher mit ihr reden musste.
    »Obwohl unsere Lieben von uns genommen werden, dürfen wir in unserem Kummer eines nicht vergessen. Sie sind über den Horizont gesegelt, und gegenwärtig vermögen wir nur diesen Horizont zu sehen. Aber eines Tages werden auch wir die gleiche Reise antreten und sie wiedersehen. Dies hoffen und glauben wir durch Jesus Christus, unseren Herrn.«
    Amen.
    Ich lehnte mich zurück. Im Alltagsleben konnte ich es vor mir nie rechtfertigen, an den Trost der Religion zu glauben, wie gern ich es auf der emotionalen Ebene auch getan hätte. Ein Leben nach dem Tod, einen Sinn in allem zu sehen, ein Gott, der mit Wohlwollen auf uns herabsah, war für mich einfach nur Wunschdenken. Menschen, die uns verlassen hatten, existierten nicht mehr, außer in unseren Herzen und Erinnerungen. Es gab keine Belohnung oder Strafe in der Ewigkeit. Keinen göttlichen Plan.
    Doch ich hatte in der Vergangenheit bemerkt, dass Beerdigungen mir eine Erholungspause von dieser strengen logischen Denkweise schenkten. Eine halbe Stunde lang würde ich Trost finden können. Ich würde mir vorstellen können, dass die Menschen nicht endgültig ausgelöscht und von uns genommen wurden, weil ihre Zeit gekommen war oder weil jemand oder etwas sie uns geraubt hatte, ein Raub, den Gott gesehen und vermerkt hatte. Ich konnte mir eine halbe Stunde lang einreden, dass es auf die Frage Warum? eine Antwort mit einer zumindest unterschwelligen Logik gab. Heute jedoch hatte ich
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